Dein Gesicht morgen / Fieber und Lanze
bevor du ein Ferngespräch führst.‹ Oder ein Mann und eine Frau in Uniform zeigten nur ihre Füße und ihren Kopf hinter einem blauen Schutzschirm, der ihre Rangabzeichen verbarg und auf dem in großen weißen Buchstaben ›ZENSIERT‹ stand; der junge Mann und die junge Frau verbanden die Glut ihrer jeweiligen Zigarette miteinander, einer gab dem anderen Feuer und so vereinigten sie ihre Lippen über das Medium des Tabaks und des Feuers (Rauchen wurde nicht schlecht angesehen oder verfolgt, in etwas mußten die Zeiten glücklich sein), aber sie wurden gewarnt: ›Eure Einheiten dürfen nicht bekannt werden!‹ Auf den meisten Zeichnungen wiederholte sich das Grundmotto der Kampagne: › Careless talk costs lives ‹, ›Unvorsichtige Gespräche kosten Menschenleben.‹ Oder es wäre keine ganz ungenaue Übersetzung: ›fordern Menschenleben‹.
»Ich meine mich vage zu erinnern, daß es während unseres Bürgerkrieges ähnliche Warnungen vor den Angehörigen der fünften Kolonne gab, aber ich bin nicht sicher, erinnern Sie sich, Peter?« fragte ich. »Ich weiß nicht, mir geht irgendein Motto im Kopf herum, in der Art von ›Der Feind hat tausend Ohren‹, aber vielleicht erfinde ich es, ich weiß nicht, mir stehen überdies keine Bilder wie diese vor Augen, ich glaube nicht, daß ich solche Abbildungen gesehen habe.« Ich wußte es wirklich nicht, obwohl nicht auszuschließen war, daß wir auch diese Initiative exportiert hatten. Oder vielleicht verwechselte mein Gedächtnis das Ganze mit dem diffamierenden Plakat gegen die POUM vom Frühjahr 37, das Gesicht bedeckt von einem Hakenkreuz, das unter der Maske mit Hammer und Sichel zum Vorschein kam; Nin war Opfer der halb gerechtfertigten Paranoia gewesen, die bewirkte, daß man an jeder Ecke Spitzel und Kollaborateure Francos sah, oder besser gesagt, seine Feinde hatten diese Paranoia ausgenutzt, um ihn des Verrats und der Spionage zu bezichtigen. Man beschuldigte ihn, informiert zu haben, geredet zu haben, paradoxerweise war es das, was er nie vor seinen Folterern getan hatte. Dort schwieg er und rettete sich nicht, er hielt den Mund, die Zunge ging ihm nicht durch, er ließ nichts verlauten, denn he kept mum , was er wußte, behielt er für sich oder unter dem Hut, oder vielleicht sagte er nichts, weil alle Anschuldigungen falsch waren, er hätte Lügen und Geschichten erfinden müssen, um sie gestehen und zugeben zu können, um sich als das ›Trojanische Pferd‹ erkennen zu geben, das jener poetische ›Liebhaber der Wahrheit‹, jener ›echte Don Quijote‹, etwas später mit der ›Leuchtspur seiner Stimme‹ glossiert hatte, die Trapp-Tello bezauberte, so verleumderisch diese Stimme.
»Gestern abend habe ich dir gesagt, daß ich vor dem Krieg gegen Deutschland einmal in eurem gewesen bin, und ich pflege mich recht genau auszudrücken, Jacobo. Ich glaube noch immer, es zu tun. Das heißt, daß ich nicht lange in Spanien war. Nur, daß ich dagewesen bin«, antwortete mir Wheeler, und ich bemerkte leichte Ungeduld in seiner Stimme, als störte es ihn ein wenig, daß ich in diesem Augenblick einen anderen Krieg und eine andere Epoche zur Sprache brachte, auch wenn ersterer in Beziehung zu seinem stand und letztere ihm nahe war. »Ich kann es also nicht beschwören, aber ich erinnere mich nicht, daß ich in deinem Land etwas Derartiges gesehen habe, ich habe auch nicht darüber gelesen oder davon gehört. Plakate, Kampagnen gegen die Angehörigen der fünften Kolonne, ja, das gab es, wenn ich nicht irre; die Bevölkerung von Madrid und Barcelona und vielleicht Valencia wurde dringend aufgerufen, sie ausfindig zu machen, sie zu entlarven und aus ihren Kloaken zu holen und zu erledigen, genauso im anderen Lager, die Versteckten aufzuspüren und zu vernichten, bestimmt blieben nur wenige am Leben in dieser Zone voller gesprächiger geistlicher Beichtväter, dazu wurde aufgerufen. Natürlich bat man die Leute, die Augen offenzuhalten und die Etappe zu überwachen, wie man es auch in Ansätzen während des Ersten Weltkrieges getan hatte, hier und in Frankreich, soviel ich weiß. Was es aber meines Erachtens nie gegeben hat, ist eine Kampagne wie die gegen den careless talk , bei der man die Bürger nicht nur vor den möglichen Spionen warnte, sondern ihnen das Schweigen als generelle Norm empfahl: man legte ihnen nahe, nicht zu sprechen, man gebot ihnen und drängte sie, zu schweigen. Plötzlich wurde den Leuten ihre eigene
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