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Dein Gesicht morgen / Fieber und Lanze

Dein Gesicht morgen / Fieber und Lanze

Titel: Dein Gesicht morgen / Fieber und Lanze Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Javier Marías
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Originale mehr, sondern Ausschnitte aus Zeitschriften oder vielleicht Büchern, oder es waren Postkarten und Spielkarten des Imperial War Museum in der Lambeth Road und anderer Institutionen, bestimmt wurden sie jetzt als nostalgische oder bloß kuriose Erinnerungsstücke verkauft, sogar ein Kartenspiel war damit bebildert, seltsam, wie die nützlichen und sogar lebenswichtigen Dinge des eigenen Lebens sich in Ornamente und Archäologie verwandeln, wenn dieses Leben noch nicht abgeschlossen ist, ich dachte an das von Wheeler, und ich dachte, daß ich einmal in Katalogen und Ausstellungen Gegenstände und Zeitungen und Fotografien und Bücher sehen würde, deren neuartige Gestaltung, Aufnahmetechnik oder sogar Schreibweise ich erlebt hatte, wenn ich genügend oder nicht einmal so viele Jahre leben würde, alles rückt sehr rasch in die Ferne. Dieses Museum, das Kriegsmuseum, lag nahe am Hauptquartier oder Hauptsitz des MI6, das heißt, des Secret Intelligence Service oder SIS, in Vauxhall Cross, architektonisch alles andere als geheim, dieser Sitz, nicht einmal diskret, vielmehr ziemlich auffällig, ins Auge springend, ein Zikkurat, ein Leuchtturm; und auch nicht weit entfernt von dem namenlosen Gebäude, zu dem ich während einer gewissen Zeit, die mir lang erschien, jeden Morgen gehen sollte, obwohl ich damals noch nicht wußte, daß dies ein weiterer Arbeitsort für mich sein würde, ich habe schon etliche gehabt.
    »Sammeln Sie sie, Peter?« fragte ich, während ich sie aufmerksam betrachtete. Wir setzten uns einen Augenblick in die mit wasserdichtem Segeltuch oder Überzügen bedeckten Sessel, die in Wheelers Garten um einen kleinen Tisch herum standen, er stellte sie früh im Frühjahr hinaus und holte sie spät im Herbst wieder herein, solange die Sonne noch genug schien, aber er und Frau Berry hielten oder ließen sie bedeckt je nach den Tagen oder an den meisten, immer so veränderlich das Wetter in England, deshalb gibt es in seiner Sprache den Ausdruck › as changing as the weather ‹, der zum Beispiel auf wankelmütige Personen angewandt wird. Wir setzten uns direkt auf das Segeltuch von der Farbe eines hellen Regenmantels, es war trocken, es war nur ein kurzer Halt, um es uns bequemer zu machen und die Zeichnungen auf dem ebenfalls in einem Überzug steckenden Tisch auszubreiten, all diese Möbel als moderne Skulpturen verkleidet oder als aneinandergekettete Gespenster. In Rylands’ Garten hatte es sie auch gegeben, ähnliche, in seinem Garten unweit von hier, am selben Fluß, ich erinnerte mich.
    »Ja, mehr oder weniger, an einige Dinge möchte man sich so genau wie möglich erinnern. Aber es ist eher Mrs. Berry, sie befaßt sich damit, sie interessiert sich auch dafür, und sie fährt öfter nach London. Man kommt nicht auf die Idee, die kleinen Dinge zu bewahren, wenn sie da sind, zu ihrer Zeit, wenn sie naturgemäß existieren, man hat das Gefühl, daß sie zur Hand sind und es immer sein werden. Später werden sie dann zu echten Raritäten, und ehe man sich’s versieht, sind sie schon Reliquien, man braucht sich nur die albernen Sachen anzusehen, die heute nur deshalb zur Versteigerung kommen, weil sie nicht mehr hergestellt werden und unauffindbar sind. Es gibt Sammlungen von Abziehbildern von vor vierzig Jahren, die aberwitzige Preise erzielen, dieselben Leute, die sie einst als Kinder angelegt und dann als Heranwachsende weggeworfen oder verschenkt haben, bieten jetzt wie verrückt für sie, wer weiß, ob sie nicht nach einer langen Reise, nachdem sie durch viele Hände gegangen sind, genau dieselben Alben kaufen, die sie zu ihrer Zeit mit kindlicher Beharrlichkeit gesammelt und vervollständigt hatten. Sie ist ein Fluch, die Gegenwart, sie läßt uns fast nichts sehen oder wertschätzen. Wer immer die Idee gehabt hat, daß wir in ihr leben sollen, hat uns einen schlechten Streich gespielt«, sagte Wheeler humorvoll und zeigte dann auf die Bilder, ihm zitterte ein wenig der Zeigefinger: »Schau, da siehst du, was sie empfohlen haben. Ungewöhnlich, nicht?, vor allem aus heutiger Sicht, unersättlich und haltlos, wie diese Epoche ist. Außerstande, zu schweigen oder nicht zu fragen.«
    Auf einem war ein Kriegsschiff zu sehen, das mitten in der Nacht auf hoher See unterging, zweifellos torpediert, am Himmel Feuerschein und Rauch, und ein paar Überlebende, die sich in einem Boot ohne Ruder von ihm entfernten, ohne ihm den Rücken zuzukehren, den Blick fest auf die Katastrophe gerichtet, aus der

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