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Dein Gesicht morgen / Fieber und Lanze

Dein Gesicht morgen / Fieber und Lanze

Titel: Dein Gesicht morgen / Fieber und Lanze Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Javier Marías
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aufgefallen, wenn sie ein eingespieltes Ehepaar gewesen wären, eines von denen, wo das Gefühl so fadenscheinig ist, daß die Ehe im Grunde längst in Verfall geraten ist, außer, wenn die Partner allein sind und nichts haben, mit dem sie sich zerstreuen können, und selbst dann. Na ja, Sie hatten nicht die Zeit, etwas Ähnliches zu erleben in Ihrer so kurzen, fernen Ehe, aber Sie werden es beobachtet haben: Es gibt in fast allen einen Augenblick, der lamentabel ist, einen Augenblick stummen Duells, in dem es genügt, daß eine dritte Person anwesend ist, egal wer, auch wenn es ein Taxifahrer ist, der ihnen den Rücken zukehrt, damit der eine der Ehefrau oder die andere dem Ehemann nicht mehr die geringste Beachtung schenkt. Es gibt keine Fröhlichkeit mehr in ihnen, nicht seine in ihr oder ihre in ihm oder die von keinem in keinem, das hängt davon ab, ob einer sein Interesse zuerst verliert oder der Überdruß sich gleichzeitig einstellt, fast immer erfaßt und betrifft er am Ende beide, wenn sie zusammenbleiben, und dann leidet keiner zu sehr oder nur infolge seiner Enttäuschung und seines Rückzugs, aber während der ungleichgewichtigen Zeiten macht es den einen unsäglich traurig und den anderen unsäglich wütend. Der Traurige weiß nicht, was er tun oder wie er sich verhalten soll, er versucht das eine und das andere und das jeweilige Gegenteil, er zermartert sich das Gehirn, um abermals Interesse zu wecken oder sich vergeben zu lassen, obwohl er nicht weiß, was sein Vergehen ist, nichts nützt etwas, weil er bereits verurteilt ist, es nützt nichts, bezaubernd zu sein oder unsympathisch, sanft oder widerspenstig, wohlwollend oder kritisch, liebevoll oder kriegerisch, aufmerksam oder abgestumpft, schmeichlerisch oder einschüchternd, verständnisvoll oder undurchdringlich, alles ist Ratlosigkeit und verlorene Zeit. Und der Wütende ist sich bisweilen seiner Einseitigkeit und Ungerechtigkeit bewußt, aber er kann sie nicht vermeiden, er fühlt sich jähzornig, und alles, was vom anderen kommt, läßt ihn aus der Haut fahren, und das ist der größte Beweis, im persönlichen, täglichen Leben, daß niemals etwas objektiv ist und alles verdreht und verzerrt werden kann, daß kein Verdienst, kein Wert es für sich selbst sind ohne fremde Anerkennung, die meistens rein willkürlich ist, daß die Tatsachen und Haltungen immer von der Absicht abhängen, die man ihnen unterstellt, und der Interpretation, die man ihnen gibt, ohne diese Interpretation sind sie nichts, sie existieren nicht, sie sind neutral oder können ohne weiteres geleugnet werden. Was am offensten zutage tritt, wird geleugnet, was gerade geschehen ist und zwei gesehen haben, kann augenblicklich von einem der beiden geleugnet werden, man leugnet, was man in eben diesem Augenblick gesagt oder gehört hat, nicht gestern oder vor Zeiten, sondern erst vor einer Minute. Es ist, als würde nichts zählen, als würde nichts sich ansammeln oder Gewicht erlangen und als ginge alles unter, alles gleichgültig, ohne Berücksichtigung, ohne Erinnerung, Luft, aber schmutzige Luft, und für beide ist es zum Verzweifeln, für jeden auf andere Weise und stärker für den Traurigen. Bis alles zerbricht. Oder auch nicht, und dann zieht es sich in die Länge und wird innerlich angenommen, und äußerlich beruhigt es sich und kümmert vor sich hin, oder es wird bewahrt und verfault, ohne Aufhebens und im Verborgenen, wie etwas, das man begräbt. Und obwohl alles in Verfall geraten ist, bleiben beide zusammen, so wie in meinen Augen Tupra und Beryl zusammengeblieben sind, mehr oder weniger.«
    Natürlich wollte Wheeler sie nicht aus den Augen verlieren, und ich war endlich zu ihnen zurückgekehrt nach meiner langen Abschweifung, die ich gleichwohl noch fortzusetzen gedachte. Doch statt meine Rückkehr auszunutzen, schien er das Paar vorübergehend zu vergessen und sich für meine Tirade zu interessieren, obwohl er damit Gefahr lief, daß ich mich abermals vom Gegenstand entfernte. Es war Neugier, ohne Zweifel, denn er konnte nicht umhin, mich zu fragen:
    »War es das, was dir mit Luisa passiert ist? Nur, daß ihr die Sache nicht in die Länge gezogen habt und nicht zusammengeblieben seid?« Er schaute mich einen Augenblick mit diesem Mitgefühl an, das er dann sogleich korrigierte oder abschwächte. Nicht, daß er es verlor oder verwarf oder zurücknahm, überhaupt nicht, er nuancierte es nur nach dem ersten Aufflammen, das sehr aufrichtig und spontan war. Aber es

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