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Dein Gesicht morgen / Fieber und Lanze

Dein Gesicht morgen / Fieber und Lanze

Titel: Dein Gesicht morgen / Fieber und Lanze Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Javier Marías
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erinnern kann.«
    »Oh, es mag vor sechs Monaten oder etwas mehr angefangen haben. Aber es ist sehr selten, es passiert mir nur in großen Abständen, etwas anderes wäre grotesk. Und du hast ja gesehen, es ist nur ein Moment, es hat nichts zu sagen, daß du es vorher nicht erlebt hast, das Gegenteil wäre seltsam und Pech. Doch laß das, verlier keine Zeit damit, du hast mir noch nicht gesagt, wie du Beryl über ihre Schenkel und ihre Fangzähne hinaus gefunden hast: in bezug auf Tupra, was für einen Eindruck haben sie zusammen auf dich gemacht.« Er ließ seine Beute nicht los, er zwang einen, das zu beantworten, was er beantwortet haben wollte. Aber ich widerstand auch nie dieser für ihn typischen Beharrlichkeit.
    Ich sah, daß ihm seine Socken beziehungsweise Sportstrümpfe ein wenig heruntergerutscht waren, vielleicht lag es an der jugendlichen Positur auf der Treppe, die Beine stärker gebeugt als in einem Sessel oder auf einem Stuhl, die Knie höher. Sie sahen zerknittert aus, plötzlich locker, jetzt im Kontrast zu seinen makellosen Lackschuhen mit allzu unversehrten Sohlen (eine Aufforderung zum Ausrutschen, da war Frau Berry nicht sehr aufmerksam gewesen), wenn die Strümpfe weiter ihrem Lauf folgten, würden sie seine Schienbeine entblößen. Und wenn das der Fall wäre, müßte ich ihn vielleicht darauf hinweisen, ihm würde diese unbemerkte Tatsache nicht gefallen, kokett und adrett, wie er immer war, auch wenn nur ich sein Zeuge wäre und der einzige, der imstande war, es zu bemerken.
    »Schön, da Sie also daran interessiert sind: ich würde kein Sixpencestück für dieses Paar geben, die Sache ist wenig aussichtsreich für Ihren Freund Tupra. Das letzte, was diese Frau zu sein scheint, ist die neue Freundin von irgend jemandem. Eher das genaue Gegenteil, es ist, als wäre sie aus Faulheit oder aus Routine mit ihm zusammen oder als hätte sie nichts Besseres, aber auch nichts Schlechteres in Aussicht, eine sehr merkwürdige Haltung, wenn man bedenkt, daß es sich um eine frische Beziehung handelt. Mir haben sie vielmehr ein Gefühl von Erfahrenheit und Trägheit vermittelt, als wären sie alte Flammen, jeder für den anderen« – old flames , sagte ich, man sollte es besser als ›alte Leidenschaften‹ ins Spanische übersetzen –, »die gut miteinander auskommen, aber sich auswendig kennen und einander sehr rasch überdrüssig werden, obwohl sie sich ertragen und eine Spur wechselseitiger Sehnsucht bewahren, die in Wirklichkeit dem Repräsentanten ihrer jeweiligen vergangenen Zeiten gilt. Es war, als hätte Tupra, ich weiß nicht, sie zu Hilfe geholt, um nicht allein bei dem Essen zu erscheinen, diese Art von Abkommen, Sie wissen. Was sich wiederum seltsam ausnimmt bei jemandem mit seiner äußeren Erscheinung und seinem Stil, er wirkt nicht wie ein Mann, der Schwierigkeiten hat, Begleitung, noch dazu glanzvolle, zu finden. Und wenn er es war, der ihr den Gefallen getan hat, der sie ausgeführt hat, dann hat das auch keine Logik, ich habe Ihnen schon gesagt, daß Beryl sich gelangweilt hat, als wäre sie fast unter Zwang gekommen oder in Erfüllung irgendeiner Vereinbarung, ich weiß nicht, nachgerade gegen ihren Willen. Es war ihr nicht einmal darum zu tun, einen guten Eindruck auf seine Freunde zu machen, wenn es denn seine Freunde sind. Am Anfang möchte man noch von der Katze des anderen und von seinem Kanarienvogel und von seiner Fußpflegerin akzeptiert werden, noch die Billigung des Milchmanns erhalten. Man gibt sich ständig Mühe, dem ganzen Kreis des neuen Geliebten zu gefallen, auch wenn einem seine Welt zuwider ist. Und bei ihr sah man nicht das geringste Bemühen. Nicht einmal den Versuch.«
    Wheeler examinierte die Glutasche seiner Zigarre, indem er sie dicht vors Auge hielt, dessen Metall heller leuchtete als ihre Glut; er fachte sie an, indem er auf sie blies, die Zigarre zog nicht mehr besonders oder er tat so; und ohne mich direkt anzusehen, mit einem Anschein von Gleichgültigkeit, die er bestimmt nicht empfand, bat er mich, fortzufahren. Doch obwohl er die Augen vor mir verbarg, sah ich, wie seine sehr weißen, glatten Augenbrauen sich vor Vergnügen zusammenzogen, und in seiner Stimme bemerkte ich eine verhaltene Erregung und Unruhe, wie bei jemandem, der einen anderen auf die Probe stellt und dabei allmählich ahnt, daß dieser wahrscheinlich glänzend abschneiden wird (aber er wartet noch mit gedrücktem Daumen, er stimmt noch keine Siegeshymne an).
    »Tatsächlich«,

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