Dein Gesicht morgen / Fieber und Lanze
konnte nie in diesem Stadium der Unschuld oder des Elementaren bleiben, das wäre vielleicht sein Wort gewesen, wenn er selbst sich beschrieben hätte.
»Nein, ich habe nicht zugelassen oder wir haben nicht zugelassen, daß es so weit kam. Es war etwas anderes, vielleicht einfacher, ohne Zweifel schneller. Nicht so klebrig. Vielleicht sauberer.«
»Irgendwann mußt du mir einmal ein wenig mehr davon erzählen. Wenn du willst, natürlich, und wenn du es kannst, manchmal ist es unmöglich, das Entscheidende zu erklären, das, was uns am meisten betroffen hat, und Schweigen ist das einzige, was uns im Bösen rettet, denn die Erklärungen klingen fast immer etwas dumm in bezug auf das Leid, das man antut oder das einem angetan wird. Sie sind gewöhnlich nicht auf der Höhe des erlittenen oder verursachten Unglücks, und unerträglich, nicht wahr? Ich verstehe sie nicht, eure Geschichte, obwohl ich verstehe, daß ich nicht verstehe. Ihr beide habt mir sehr gefallen. Na ja, es ist absurd, daß ich es in der Vergangenheit sage: ihr beide gefallt mir sehr. Ich nehme an, daß es daran liegt, daß ihr als Ehepaar Vergangenheit zu sein scheint, vorläufig. Weil man nie weiß, nicht?, bei den Bindungen, egal welcher Art. Bindungen.« Er hielt einen Augenblick inne, als wägte er dieses Wort ab oder erinnerte sich an eine bestimmte eigene. »Was ich sagen wollte, ist, daß ihr mir zusammen gefallen habt, normalerweise findet man die Leute getrennt besser, jeden für sich, ohne ehelichen oder familiären Anhang. Obwohl ich, wenn ich es mir jetzt überlege, nicht weiß, ob ich Luisa ohne dich gesehen habe, ob ich sie jemals allein gesehen habe, erinnerst du dich? Ich glaube, ja, aber ich bin mir nicht ganz sicher.«
»Ich glaube nicht, Peter, ich glaube, Sie haben sie nicht ohne mich gesehen. Aber Sie haben natürlich am Telefon mit ihr gesprochen.« Meine Abwehr gegen diese letzte und für mich unerwartete Abschweifung war bestimmt unüberhörbar. Aber es war mir nicht entgangen, daß Wheeler, auch wenn er und Luisa sich nicht ohne mich gesehen hatten (ich war mir dessen auch nicht völlig sicher, mir ging irgendeine ungreifbare, vage Erinnerung im Kopf herum), mir gerade erklärt hatte, ich sei ihm mit ihr zusammen lieber als alleine, wie er mich kennengelernt hatte. Die Schlußfolgerung verletzte mich nicht: Ich hatte keinen Zweifel, daß Luisa mich verbesserte, sie machte mich fröhlicher und leichter, nicht so vergrübelt, sehr viel weniger gefährlich, sehr viel weniger trübe. › My dear, my dear ‹, dachte ich, und ich dachte es in englisch, weil es die Sprache war, die ich gerade sprach, und außerdem gibt es Dinge, für die man sich weniger schämt in einer Sprache, die nicht die eigene ist, selbst wenn sie nur gedacht werden. ›Wenn man mir doch Vergessen schenkte‹, dachte ich jetzt in spanisch. ›Wenn du es mir doch schenktest, dein Vergessen.‹
D och bevor er auf die Tupras zurückkam – oder auf Tupra und Beryl, besser gesagt –, fügte Peter noch etwas Eigenes zur Abschweifung hinzu, er hätte es bestimmt excursus genannt:
»Ich weiß nicht, ob dir bewußt ist«, sagte er, während er die Glut seiner Zigarre mit einem weiteren Streichholz anfachte, also sagte er es eingehüllt in eine Eisenbahnrauchwolke, »daß alles, was du in bezug auf die Ehe, das Private beschrieben hast, auch für fast jeden anderen Bereich gilt, für den der Arbeit, für den öffentlichen, den politischen. Die Verleugnung von allem, die Verleugnung dessen, der du bist und der du gewesen bist, dessen, was du tust und was du getan hast, dessen, wonach du strebst und gestrebt hast, deiner Motivationen und Intentionen, deiner Glaubensbekenntnisse, deiner Ideen, deiner größten Loyalitäten, deiner Anliegen … Alles kann entstellt, verzerrt, annulliert, ausgelöscht werden, wenn man bereits verurteilt ist, ob man es nun weiß oder nicht, und wenn man es nicht einmal weiß, dann ist man wehrlos, verloren. Das geschieht bei den Verfolgungen, den Säuberungen, den schlimmsten Intrigen, den Verschwörungen, du weißt nicht, wie furchtbar es ist, wenn der, der beschließt, dich zu verleugnen, Macht und Einfluß besitzt, oder wenn es viele sind, die sich zusammentun, oder vielleicht ist das nicht einmal nötig, es genügt ein böses Wort, das verfängt und sich ausbreitet, es ist wie ein Feuer, das andere überzeugt, eine Epidemie. Du weißt nicht, wie gefährlich Leute mit Überzeugungsgabe sind, lege dich nie mit denen an, es sei
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