Dein Gesicht morgen / Fieber und Lanze
riesige Welle über ihn hinweggegangen, die ihn durchnäßt und durchgeschüttelt hatte, seine Gestalt auf einmal desartikuliert, leicht geschrumpft trotz seiner gewaltigen Größe, als fröstelte er, schwankend die Schritte, jede Stufe kostete ihn Mühe, seine schönen neuen Lacklederschuhe schienen schwer zu wiegen, der Stock war jetzt nur Stütze. Ich lauschte, das ruhige oder geduldige oder gedämpfte Rauschen des Flusses war deutlich zu hören. Er schien gelassen oder lustlos, fast matt zu sprechen, mit fadendünner Stimme. Ein Verbindungsfaden, der Cherwell, auch zwischen dem Toten und dem Lebenden, der ihm ähnlich war, zwischen dem toten Rylands und dem lebenden Wheeler.
»Entschuldigen Sie, daß ich Sie noch eine Sekunde zurückhalte, Peter. Ich wollte Sie fragen …«
»Ja«, sagte Wheeler und blieb stehen, ohne sich umzudrehen.
»Ich glaube nicht, daß ich gleich einschlafen kann. Bestimmt haben Sie irgendwo Orwells In Katalonien und die Geschichte des Bürgerkriegs von Thomas, nehme ich an. Ich würde gern einen Blick hineinwerfen, noch etwas nachschlagen, bevor ich ins Bett gehe, wenn Sie nichts dagegen haben. Wenn Sie mir die Bücher leihen, wenn sie hier mehr oder weniger in Reichweite sind.«
Jetzt drehte er sich doch wieder um, zur Hälfte. Er hob den Stock und wies mit ihm über meinen Kopf hinweg, wobei er ihn leicht nach links bewegte, das heißt, zu meiner Rechten, wie einen Zeigestock. Seine Muskeln waren schlaff geworden, seine Haut wie Baumrinde oder feuchte Erde, plötzlich zerwirkt.
»Fast alles zum spanischen Krieg ist da, im Arbeitszimmer, hinter deinem Rücken. Westregal.« Und dann rügte er mich, empfindlich: »Ich nehme an, sagst du. Ich nehme an. Wie kann es sein, daß ich diese Bücher nicht habe. Vergiß nicht, daß ich Hispanist bin. Und auch wenn ich über Jahrhunderte von größerer Bedeutung und momentum geschrieben habe, ist das zwanzigste doch das meine, nicht?, das ich gelebt habe. Und auch das deine, glaub ja nicht. Obwohl dir noch viel vom nächsten zu leben bleibt.«
»Danke, entschuldigen Sie, Peter, ich werde sie jetzt suchen, mit Ihrer Erlaubnis. Schlafen Sie gut. Gute Nacht.«
Er kehrte mir wieder den Rücken zu, ihm fehlten nur noch wenige Stufen. Er wußte, daß ich den Blick nicht von seiner Gestalt lösen würde, bis sie wohlbehalten oben angelangt wäre, ich fürchtete seine zu glatten Sohlen. Und zweifellos deshalb, weil er es wußte, verdrehte er nicht einmal den Hals, als er in jener Nacht noch ein letztes Mal mit mir sprach, sondern bot mir weiterhin den Nacken als obskuren Ursprung seiner Worte dar. Er glich dem von Rylands, gewellt und weiß, wie ein behauenes, von der Zeit ausgewaschenes Säulenkapitell. Von hinten glichen sie sich noch mehr, die beiden Freunde, sie waren einander noch ähnlicher. Von hinten waren sie ein und derselbe.
»Wenn du vorhast, im Namensregister zu suchen, um zu sehen, ob ich auftauche, und auf diese Weise herauszufinden, was ich im spanischen Krieg getan habe, dann verlier lieber nicht eine Minute Schlaf deswegen. Diese Art Index gibt es, glaube ich, nicht einmal bei Orwell. Aber denk vor allem daran, daß ich in Spanien nicht Wheeler hieß.«
Ich sah sein Gesicht nicht, aber ich war sicher, daß er das lebhafte Lächeln zurückgewonnen hatte, als er dies sagte. Ich zögerte, ob ich antworten sollte oder nicht. Ich tat es:
»Aha. Dann sagen Sie mir doch, wie Sie damals zu heißen geruhten.«
Ich spürte, daß er versucht war, sich abermals umzudrehen, aber jede Drehung geriet ihm etwas mühsamer, zumindest in jener Nacht, zu dieser späten Stunde.
»Da willst du zuviel wissen, Jacobo. Zumindest für heute nacht. Ein andermal, wir werden schon sehen. Aber ich sag es dir, vergeude nicht deine Zeit, du wirst mich nie in diesen Namensverzeichnissen finden. Nicht in denen aus dieser Zeit.«
»Keine Sorge, Peter, ich werde auf Sie hören«, sagte ich. »Aber um die Wahrheit zu sagen, das war es nicht, was ich nachsehen wollte, ich schwöre es Ihnen, es war mir gar nicht in den Sinn gekommen.« Ich verstummte. Er verharrte still. Er verharrte stumm. Er blieb still. Er blieb stumm. Und so fügte ich sogleich hinzu, um ihn nicht zu kränken: »Sie haben mich auf eine großartige Idee gebracht.«
Wheeler war den Rest der Treppe schweigend hinaufgestiegen. Ich atmete erleichtert auf, als ich ihn oben sah. Dort legte er sich den Stock abermals über die Schulter, verwandelte ihn abermals in seine Lanze. Und murmelte, ohne mich
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