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Dein Gesicht morgen / Fieber und Lanze

Dein Gesicht morgen / Fieber und Lanze

Titel: Dein Gesicht morgen / Fieber und Lanze Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Javier Marías
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hast du gesagt?« Er fragte es leicht verwirrt und auch etwas verärgert, es gefiel ihm nicht, Lücken bei sich zu entdecken, in seinen Kenntnissen. »Ich kenne dieses Wort nicht. Obwohl ich es ohne Probleme verstehe, glaube ich. Was ist es, wie ›toll‹?«
    »Hm. Ja. Hm. Aber haben Sie keinen Zweifel, Peter. Ich kann es Ihnen jetzt nicht erklären, aber Sie verstehen es bestimmt ganz genau.«
    Wheeler kratzte sich das Haar in der Höhe einer Kotelette. Nicht, daß sie lang oder in Form gestutzt waren, keineswegs, bei allem Dünkel war er elegant; aber er verzichtete auch nicht auf sie, das fehlte noch, er gehörte nicht zu den obszönen Typen, die sich nicht das Gesicht umrahmen, dicke Gesichter noch ohne Fett. Schlechte Menschen nach meiner Erfahrung (mit einer großen Ausnahme in meiner Erfahrung, es gibt sie für alles, das ist unbequem und verwirrend, man weiß nicht, woran man ist), fast so schlecht wie die, die Spitzbart, Doppelkinn, Fliege tragen. (Die Ziegenbärte sind etwas anderes.)
    »Das wird mit Bomben zu tun haben, hm«, murmelte er, plötzlich sehr nachdenklich. »Obwohl ich die Verbindung nicht sehe, es sei denn, es ist wie dieser Ausdruck, ›durchgeknallt‹, den kenne ich wohl, ich habe ihn vor ein paar Monaten gelernt. Sagst du das, durchgeknallt? Oder ist es sehr vulgär?«
    »Eher jugendlich.«
    »Trotzdem: ich sollte Spanien öfter besuchen. Ich bin in den letzten zwanzig Jahren so selten da gewesen, daß ich demnächst unfähig sein werde, mit Genuß eine Zeitung zu lesen, die Umgangssprache ändert sich ständig. Du darfst aber auf keinen Fall deinen Verdienst schmälern. Es mag sein, daß Rafita nicht so dumm ist, wie wir angenommen haben, es würde mich für seinen guten Vater freuen. Aber seine Wahrnehmung hat nichts mit deiner zu tun, da kannst du sicher sein, täusch dich nicht.«
    Plötzlich sah ich ihn müde. Ein paar Minuten zuvor hatte er noch lebhaft, freundlich gelächelt, jetzt erschien er mir erschöpft, in sich zusammengesunken. Auch ich spürte auf einmal meine Müdigkeit. Für einen Mann seines Alters mußte es hart gewesen sein, ein so voller und langer Tag, mit den Vorbereitungen, der Aufmerksamkeit, den Kellnern, dem Fest, mit Rauch und Geistreicheleien und Drinks und viel Geplauder. Vielleicht hatten die Socken, die sich endlich ergeben hatten, die Grenze bezeichnet oder waren die Ursache gewesen.
    »Peter«, sagte ich, vielleicht abergläubisch, natürlich unklug, »ich weiß nicht, ob Sie bemerkt haben, daß Ihre Socken heruntergerutscht sind.« Und ich wagte, mit einem schüchternen Finger auf seine Knöchel zu weisen.
    Er nahm sogleich wieder Haltung an, verscheuchte die Müdigkeit mit dreimaligem Blinzeln und war so geistesgegenwärtig, nicht den Blick zu senken und es zu überprüfen. Vielleicht hatte er es längst bemerkt, wußte es, und es machte ihm nichts aus. Sein Blick hatte sich verdüstert, oder er war jetzt matt, seine Augen zwei frisch ausgeblasene Streichholzköpfe. Er lächelte erneut, aber schwach oder mit väterlichem Bedauern. Und er kehrte zum Englischen zurück, es würde ihn immer weniger Mühe kosten, so wie meine Sprache mich.
    »In einem anderen Augenblick hätte ich dir unendlich für diesen Hinweis gedankt, Jacobo. Aber jetzt ist es nicht schlimm. Du wirst sehen, ich werde gleich ins Bett gehen. Und vorher gedenke ich sie auszuziehen, da kannst du sicher sein. Wir sollten jetzt schlafen gehen, damit wir morgen frisch sind, es liegt einiges an. Danke jedenfalls für den Hinweis. Und gute Nacht.« Er drehte sich halb um und schickte sich an, die Stufen hinaufzusteigen, die ihn vom ersten Stock trennten, dort hatte er sein Schlafzimmer, das Gästezimmer, das ich belegen würde und andere Male belegt hatte, befand sich im zweiten und vorletzten Stock. Bei dieser Drehung trat Wheeler ungewollt gegen den Aschenbecher, der mit seiner verstorbenen Zigarre noch immer dort stand. Er rollte herunter, er zerbrach nicht, sein Aufprallen wurde durch den teppichbedeckten Teil gedämpft, auf den es Asche schneite, ich beeilte mich, ihn im Ausrollen aufzuheben. Wheeler hörte und erkannte das Geräusch, ohne sich deshalb umzudrehen. Mit dem Rücken zu mir sagte er gleichmütig: »Mach dir nicht die Mühe, irgendwas zu säubern. Mrs. Berry wird morgen Ordnung machen. Schmutz erträgt sie nicht. Gute Nacht.« Und er begann den Aufstieg, wobei er sich auf den Stock und auf das Geländer stützte, abermals von der Erschöpfung besiegt, als wäre plötzlich eine

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