Dein Gesicht morgen / Fieber und Lanze
bereits einen halb englischen, halb spanischen Film über diese Monate und diese Ereignisse gegeben, ich habe ihn nicht gesehen, aber anscheinend ist er zum Glück nicht dämlich, im Unterschied zu so vielen von uns hervorgebrachten butterweichen, verlogenen, sentimentalen, vage ländlichen oder provinziellen Zerrbildern unseres Krieges, die unweigerlich von den wohlmeinenden, von Berufs wegen mitfühlenden und aus Berufung demagogischen Geistern meines Landes beklatscht werden, sie schlagen Kapital daraus.
Es war zweifellos auf dieses Rätsel zurückzuführen, daß die Meinungen der Historiker oder Memoirenschreiber oder Erzähler über diesen Punkt auseinandergingen. Einig waren sie sich freilich über die verblüffende Tatsache, daß nicht einmal die Regierung, mit den theoretisch für die Ordnung Verantwortlichen an der Spitze – Sicherheitschef Ortega, Innenminister Zugazagoitia, Premierminister Negrín, am allerwenigsten Präsident Azaña –, die geringste Ahnung hatte, was mit Nin geschehen war. Und wenn man sie fragte und sie leugneten, seinen Aufenthaltsort zu kennen, glaubte ihnen sowohl logischer- als auch ironischerweise niemand, obwohl sie in der Tat außerstande waren, zu antworten, Benet zufolge, »weil ihnen die Machenschaften von Orlow und dessen Jungs vom NKWD unbekannt waren«, die vermutlich auf eigene Rechnung gehandelt hatten. Es erschienen Wandparolen mit der Frage »Wo ist Nin?«, die von den Stalinisten oft beantwortet wurde mit »In Burgos oder Berlin«, womit sie zu verstehen gaben, daß der Revolutionsführer geflohen und zum Feind übergelaufen war, das heißt, zu seinen wahren Freunden Franco oder Hitler. Die Anschuldigungen waren so unglaublich und plump (die Mitglieder der POUM wurden als »Trotzkofaschisten« bezeichnet, wobei man wortwörtlich den Anweisungen Moskaus folgte), daß die sozialistische und republikanische Presse, um sie zu unterstützen und zu legitimieren, sich genötigt sah, der kommunistischen beizustehen: Treball , El Socialista , Adelante , La Voz – keine, die nicht mit den Verleumdungen mitgehalten hätte.
Ich erinnere mich nicht, welche Historiker irgendeines Sammelbandes behaupteten, daß Nin sofort nach Madrid zum Verhör gebracht worden sei und wenig später, »als er im Hotel in Alcalá de Henares festsaß«, obwohl er über polizeiliche Bewachung verfügte, von »einer Gruppe bewaffneter Personen in Uniform entführt wurde, die ihn unter Drohungen mitnahmen«. Ihnen zufolge geschah es bei dem angeblichen Gerangel zwischen den Polizisten, die ihn bewachten, und den mysteriösen uniformierten Angreifern (sie spezifizierten nicht, was für eine Uniform es war), »daß eine Brieftasche mit Ausweispapieren auf den Namen eines Deutschen und mit diversen Schriftstücken in dieser Sprache zusammen mit Naziinsignien und spanischen Geldscheinen der franquistischen Seite zu Boden fiel«. Die Sache mit den Brigadisten, auf die Tupra Bezug genommen hatte, war indes etwas klarer bei Thomas und bei Benet (wahrscheinlich war es das monumentale Werk Spanish Civil War des ersteren – ich weiß nicht, warum zum Teufel ich es ›Handbuch‹ nenne, es hat einen Umfang von mehr als tausend Seiten –, das Tupra in seiner Jugend gelesen hatte). Thomas zufolge wurde Nin im Auto von Barcelona »in Orlows eigenes Gefängnis« nach Alcalá de Henares gebracht, Wiege von Cervantes und sehr nahe bei Madrid, aber »fast eine russische Kolonie« damals, um dort persönlich von Stalins verquerstem Repräsentanten auf der Halbinsel mit den für »Verräter der Sache« üblichen sowjetischen Methoden verhört zu werden. Scheinbar widerstand Nin der Folter in erstaunlicher, das heißt entsetzlicher Weise, glaubt man einem von Howson erwähnten, nicht näher bezeichneten – hoffentlich wenig vertrauenswürdigen – Bericht, demzufolge ihm bei lebendigem Leib die Haut abgezogen worden sein soll. Jedenfalls weigerte er sich, irgendein Schriftstück zu unterzeichnen, in dem er seine Schuld oder die seiner Gefährten bekannte, und er gab auch nicht die Namen der weniger bekannten oder völlig unbekannten Trotzkisten preis, die von ihm verlangt wurden. Orlow verlor die Geduld angesichts dieser Hartnäckigkeit und geriet außer sich, woraufhin seine Genossen Bielow und Carlos Contreras, die ihn bei der fruchtlosen Arbeit begleiteten (letzterer ein Deckname des Italieners Vittorio Vidali, wie es auch Orlow für Alexander Nikolski und Gorkin für Julián Gómez waren, wer hatte ihn
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