Dein Gesicht morgen / Fieber und Lanze
der Marxistischen Einheit, die von Moskau immer mit Mißtrauen betrachtet wurde. Daran erinnerte ich mich wohl, auch an die eher tragische als dramatische Verfolgung ihrer Mitglieder durch die Stalinisten im Frühjahr 1937, vor allem in Katalonien, wo diese Partei am stärksten verwurzelt war. Das war der Grund gewesen, weshalb Orwell Spanien rasch verlassen hatte, um nicht ins Gefängnis gesperrt oder vielleicht sogar hingerichtet zu werden, denn er hatte der POUM sehr nahegestanden, wenn er ihr nicht sogar angehört hatte – ich las hier und da, sprang hin und her, von einem Band zum anderen (ich hatte ein paar auf Peters makellos sauberem Tisch aufgestapelt), wobei ich vor allem die Sache mit den deutschen Brigadisten suchte, die Tupra so beeindruckt hatte –, in jedem Fall hatte er in der Neunundzwanzigsten Division, die aus Milizsoldaten der POUM bestand, an der Front in Aragon gekämpft, wo er verwundet worden war. Wie so viele Personen, Bewegungen, Organisationen und sogar Völker ist diese Partei vor allem durch die brutale Auflösung und Verfolgung, deren Gegenstand sie war, berühmt und in der Erinnerung präsent, weniger durch ihre Gründung oder ihre Taten, es gibt ein Ende, das prägt. Im Juni 1937, wie Orwell sehr detailgenau und aus allererster Hand und Thomas und andere distanzierter und geraffter erzählen, wurde die POUM von der Regierung der Republik auf Betreiben nicht so sehr – aber auch – der spanischen als der russischen Kommunisten für illegal erklärt, wie es scheint auf den Entschluß oder das persönliche Drängen von Orlow hin, dem Chef des NKWD in Spanien, des sowjetischen Geheim- oder Sicherheitsdienstes. Um die Maßnahme und die Verhaftung ihrer hauptsächlichen Anführer (nicht nur von Nin, auch von Julián Gorkin, Juan Andrade, dem Militär José Rovira und anderen) sowie ihrer Mitglieder, Sympathisanten und Milizsoldaten zu rechtfertigen – ungeachtet der Tatsache, daß letztere noch immer loyal an der Front kämpften –, wurden falsche und ziemlich groteske Beweise fabriziert, angefangen bei einem angeblich von Nin unterzeichneten Brief, der an niemand Geringeren als an Franco gerichtet war, bis hin zum belastenden Inhalt eines Koffers (verschiedene Geheimdokumente mit dem Siegel des Militärkomitees der POUM, in denen diese sich als verräterische, aus Spionen bestehende Partei der fünften Kolonne im Dienste Francos, Mussolinis und Hitlers und im Sold der leibhaftigen Gestapo zu erkennen gab), der von der republikanischen Polizei passenderweise in einer Buchhandlung in Gerona gefunden wurde, wo ihn kurz zuvor ein gutgekleidetes Individuum zur Aufbewahrung abgestellt hatte. Der Buchhändler, ein gewisser Roca, war ein erst kürzlich von den katalanischen Kommunisten entlarvter Falange-Anhänger, ebenso wie der wahrscheinliche Verfasser des falschen Briefes, ein gewisser Castilla, der seinerseits in Madrid zusammen mit weiteren Verschwörern ausgehoben wurde. Beide wurden zu agents provocateurs umfunktioniert und gezwungen, bei der Farce mitzumachen, um der Verbindung zwischen der POUM und den Faschisten eine fadenscheinige Glaubwürdigkeit zu verleihen. Es ist möglich, daß sie so ihr Leben gerettet haben.
Nichts von alldem interessierte mich sonderlich, doch alle berichteten davon mit mehr oder weniger großer Aufmerksamkeit und Kenntnis, mehr oder weniger großer Sympathie oder Antipathie für die Gesäuberten: Orwell, Thomas, Salas Larrazábal, Riesenfeld, Payne, Alcofar Nassaes, Tinker, Benet, Preston, Jackson, Tello-Krapp, Koestler, Jellinek, Lucas Phillips, Howson, Walsh, auf Wheelers überfülltem Tisch lagen seine zahlreichen offenen Bücher, mir fehlten Finger, um jede Seite und die Zigaretten halten zu können, zum Glück hatten die meisten Bände ein Namensregister, Nin wurde Andreu oder Andrés genannt, je nachdem. Nin wurde am 16. Juni in Barcelona verhaftet und verschwand sogleich (er wurde also eher entführt), und da er sowohl in Spanien als auch vor allem im Ausland der bekannteste Anführer war, wurde sein unbekannter Aufenthaltsort zu einem kurzen Skandal und zu einem langen, vielleicht ewigen Rätsel, das bis in unsere Tage andauert, in denen es nicht viele Leute gibt, nehme ich an, die bemüht sind, es zu lösen, obwohl bestimmt noch der dämliche, unredliche Schriftsteller kommen wird (wenn er nicht schon gekommen ist und ich nicht auf dem laufenden bin), der beschließt und beabsichtigt, es zu entziffern: Den Bibliographien zufolge hat es
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