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Dein Gesicht morgen / Fieber und Lanze

Dein Gesicht morgen / Fieber und Lanze

Titel: Dein Gesicht morgen / Fieber und Lanze Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Javier Marías
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er kräftig für sein Alter, er richtete sich fast ohne Anstrengung oder Mühe auf, und als er es tat, schnell, ergaben sich die Socken oder Sportstrümpfe endgültig, ich sah, wie beide ihm gleichzeitig bis auf die Knöchel hinunterrutschten. Als wir beide standen (auch ich hatte mich von meiner Handleiter erhoben, ich konnte nicht sitzen bleiben, auch meine Erziehung eine längst vergangene), beugte er sich über das Geländer und reckte den Stock mit der linken Hand, die Spitze nach oben, eher wie eine Peitsche als wie eine Lanze, er erinnerte mich plötzlich an einen Dompteur. »Aber bevor wir uns verabschieden«, fügte er hinzu, »noch eine Sache zu Tupra und Beryl: ich entnehme deinen Äußerungen, ich schließe daraus« – er sprach jetzt jedes Wort langsam aus, vielleicht wählte er sie mit großer Sorgfalt aus oder, was wahrscheinlicher war, genoß sie alle und jedes einzelne mit spöttischem Zynismus –, »daß ich dir anscheinend nicht gesagt habe, daß Tupra am Ende nicht mit seiner neuen Freundin gekommen ist, wie er mir anfänglich angekündigt hatte, sondern mit seiner Ex-Frau Beryl. Beryl ist seine neueste Ex-Frau, das wußtest du nicht, nicht wahr? Ich habe dir die Änderung nicht mitgeteilt, nicht wahr? Na ja, es ist offensichtlich.«
    Jetzt lächelte ich auch oder ich lachte sicher sogar, ich zündete noch eine Zigarette an, Rauch begleitet und beschützt, ich muß zugeben, daß hochgradige Unverschämtheit mich bisweilen ziemlich amüsiert. Natürlich hängt das davon ab, von wem sie kommt, bei geringfügigen Dingen muß man verstehen, ungerecht zu sein.
    »Kommen Sie, Peter, Sie wissen genau, daß Sie es mir nicht gesagt haben, warum sollten Sie mir auch eine solche Änderung mitteilen, die mich überhaupt nicht betraf, jetzt fange ich an zu glauben, daß sie es doch tut, aus irgendeinem Grund, den Sie kennen werden und der mir unbekannt ist. Sie erwähnten am Telefon seine neue Freundin, eher zufällig, das war alles. Sagen Sie mir, was Sie im Schilde führen, mir scheint, an dem Ganzen ist wenig Zufälliges, nicht wahr? Irgendein Spiel, irgendeine Probe, ein Rätsel, eine Wette?« Und in diesem Augenblick wurde mir ein winziges Detail bewußt: Deshalb hatte Wheeler, der immer so förmlich bei den Vorstellungen war, sich erlaubt, Beryls Nachnamen wegzulassen, als er uns vorstellte. Es war nicht unbedingt unschicklich, wenn es derselbe war wie bei ihrem Begleiter, und so konnte man es stillschweigend verstehen. »Mr. Tupra, dessen Freundschaft auf noch fernere Zeiten zurückgeht. Sie ist Beryl«, hatte er gesagt, und es war möglich, ›Beryl Tupra‹ zu verstehen, wenn das noch immer ihr Name war, wenn sie ihn nicht durch die Heirat mit einem anderen ersetzt hatte, zum Beispiel. Wenn es sich um die neue Freundin gehandelt hätte, hätte Peter es übernommen, den ganzen Namen in Erfahrung zu bringen, um sie angemessen vorstellen zu können. Er war kein Nachahmer von albernen Neuerungen, tatsächlich hatte ich ihn gegen die heutige Sitte wettern hören, die typisch ist für Jugendliche, aber auch unter vielen dummen Erwachsenen grassiert, die Leute in Gesellschaft als erstes ihrer Nachnamen zu berauben, so etwas wie das Gegenstück zum allgemeinen Duzen in meiner Sprache.
    Aber natürlich antwortete er nicht auf meine Frage. Es war schon spät, sein Zeitplan stand fest, oder er hatte seinen Stundenplan für dieses Wochenende gemacht, er ging auf das ein, was er wollte und wann er wollte.
    »Es ist interessant, es ist bemerkenswert, daß du die Art ihrer Beziehung erfaßt hast, obwohl du sie nur aus der Entfernung zusammen gesehen hast«, sagte er und legte den Stock über die Schulter, jetzt wie das Gewehr eines Soldaten bei einer Parade oder bei der Wache, der Griff als Kolben, es war eine nachdenkliche Geste. »Tupra hat derzeit ernste Zweifel, wie er mir erzählt hat. Vor einem Jahr hatten sie sich schließlich getrennt, nach dem einen oder anderen Krach und langer Ermattung, und dann, vor etwa sechs Monaten, in gegenseitigem Einvernehmen die Scheidung eingereicht. Jetzt stehen sie kurz davor, sie endgültig zu erhalten, rein formal sind sie noch kein Ex-Ehepaar, glaube ich. Und wie so oft, wenn etwas unmittelbar bevorsteht, hat einer von ihnen, Beryl, vorgeschlagen, umzukehren, den ganzen Prozeß einzustellen und es noch einmal zu versuchen. Trotz der neuen Freundin (so wichtig wird es nicht sein, Tupra wechselt seine Freundinnen in der letzten Zeit allzu rasch) plagen ihn jetzt Zweifel.

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