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Dein Gesicht morgen / Fieber und Lanze

Dein Gesicht morgen / Fieber und Lanze

Titel: Dein Gesicht morgen / Fieber und Lanze Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Javier Marías
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während meiner eifrigen Studien das Jackett ausgezogen und die Hemdsärmel aufgekrempelt –, ich sah nichts, auch nicht an den Fingern, die unglaublich bluten beim geringsten Piekser oder Kratzer oder Schnitt, selbst bei dem durch ein Blatt Papier, ich fuhr mit Daumen und Zeigefinger über die Nase, auch die Nase blutet bisweilen ohne offensichtlichen Grund, ich erinnerte mich an einen Freund, dem sie mit Grund blutete, er hatte es einige Jahre lang mit dem Kokain übertrieben und handelte ein wenig mit kleinen Mengen, und nachdem er mit Erfolg und einer bescheidenen Menge einen italienischen Zoll passiert hatte (der Koks war mit Kölnischwasser parfümiert, um die Hunde zu täuschen, die Verpackung war parfümiert), rann ihm, noch während er im Zollbereich war, ein träger Blutstropfen aus einem Nasenloch, so träge, daß er es nicht einmal bemerkte: daran ist nichts Besonderes, außer in einem Zollgebäude, diese Winzigkeit reichte aus, daß ein Karabiniere mit kritischem Auge ihn stoppte und eine regelrechte Durchsuchung ihren Anfang nahm, bei der sämtliche Hunde zum Einsatz kamen, der Tropfen kostete ihn eine lange Zeit in einem Gefängnis in Palermo, bis es der spanischen Diplomatie gelang, ihn dort herauszuholen, dieser Knast war ein Höllenkessel, ein Wespennest, er brachte ihm Scherereien und Narben, aber er ermöglichte ihm auch, wichtige Kontakte und Bündnisse herzustellen und das Lasterleben unbegrenzt fortzusetzen und, wie ich vermute, auszubauen, das letzte, was ich von ihm gehört hatte, war, daß er mittlerweile eine wohlhabende, geachtete Existenz als Bauunternehmer in New York und Miami führte, nachdem er in Havanna mit Hotelrenovierungen in dieses Geschäft eingestiegen war, niemals hatte er etwas mit diesem Zweig zu tun gehabt. Es ist erstaunlich, wie ein einziger Blutstropfen, der nicht einmal hinunterfällt – nur hervortritt –, jemanden verraten und sein Leben verändern kann, und schuld daran ist der Ort, an dem er hervorgetreten ist, nur er, der Zufall macht keine großen Unterschiede.
    Ich schaute mein Hemd an, die Hose von oben bis unten, schrecklich der Gedanke, an wie vielen Stellen man bluten kann, an jeder und an allen wahrscheinlich, unsere Haut hält überhaupt nichts aus, taugt nicht, alles verletzt sie, sogar ein Fingernagel öffnet sie, ein Messer ritzt sie, und eine Lanze zerfetzt sie (auch das Fleisch). Ich hob sogar den Handrücken an den Mund und spuckte auf ihn, um zu sehen, ob es das Zahnfleisch war oder ob das Blut von weiter hinten und weiter unten kam und von einem vergessenen oder unbeachteten Husten stammte, ich strich mir über den Hals und das Gesicht, beim Rasieren schneide ich mich bisweilen, ein Schnitt, den ich fälschlicherweise vernarbt glaubte, konnte wieder aufgebrochen sein. Doch keine Spur an meinem Körper, er schien ohne Risse zu sein, geschlossen, es war nicht mein Tropfen, also war er vielleicht von Peter, er hatte sich nach links gewandt beim Schlafengehen, ich schaute dorthin, auch in dem kurzen Stück zwischen der Treppe und der Tür seines Schlafzimmers sah ich keine weiteren Flecken, er konnte also von jedem anderen Gast stammen, der während des kalten Abendessens in den ersten Stock hinaufgestiegen war, auf der Suche nach einem zweiten Bad, als das im Erdgeschoß vielleicht besetzt war, oder auf der Suche nach einem raschen Bett, und in Begleitung. Er konnte auch von Frau Berry stammen, dachte ich, dieser so undurchsichtigen, schweigsamen Gestalt, seit Jahren sah ich sie undeutlich in ihrer diskreten Art, dann und wann, fast ein Gespenst, zuerst im Dienst von Toby Rylands, später bei Wheeler, der sie angestellt oder übernommen hatte, nie hatte ich mir Fragen über sie gestellt, sie erschien mir als selbstverständlich und vertrauenswürdig, seitdem ich sie kannte, hatte sie sich zufriedenstellend um die Haushaltsführung und die Bedürfnisse der beiden allein lebenden und bereits pensionierten Professoren gekümmert, zuerst des einen und dann des anderen, aber ich konnte nichts über ihre eigenen wissen, weder etwas von ihren Problemen noch von ihrer Gesundheit, ihren Ängsten, ihrer möglichen Familie, ihrer Herkunft oder ihrer Vergangenheit, ihrem wahrscheinlichen und vergangenen Herrn Berry, es war das erste Mal, daß ich daran dachte, an einen Herrn Berry, dessen Witwe sie war oder von dem sie vielleicht geschieden war und mit dem sie womöglich noch Verbindung hatte, es gibt Personen, bei denen wir davon ausgehen, daß sie seit

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