Dein Gesicht morgen: Tanz und Traum (German Edition)
die Unbekannte sich mir gezeigt hatte, es gibt Dinge, die das Zusammenleben niemals mit sich bringt, oder vielleicht erlegt die Erziehung, zumindest die meine, die Luisas, den Vertraulichkeiten natürliche, stillschweigende Grenzen auf und meidet grundsätzlich das Sichgehenlassen und verhindert, daß man zum gleichgültigen, trägen Zeugen dessen wird, was man nicht sehen soll.
Auch Comendador, mein alter Schulfreund, der später so auf die schiefe Bahn geriet, hatte an eine plötzliche Menstruation gedacht, als er das Blut jenes Mädchens auf dem Holz und den Laken und ihrem langen Hemd sah, das Blut der kurzzeitigen Freundin des Dealers Cuesta, die er für tot hielt nach ihrem Schwanken und ihrem Stolpern und nachdem sie so heftig frontal gegen eine Wand geprallt war, es hatte wie zerbrechendes Holz geklungen, und er hatte sogleich eine Platzwunde an ihr entdeckt, als sie bewußtlos da lag oder tot für ihn. Und später hatte er daran gezweifelt, überhaupt etwas gesehen zu haben, und sogar in Betracht gezogen, daß er für Blut gehalten hatte, was vielleicht nur Cognac oder Wein oder auch nur eine dunkle Maserung des Holzbodens war. Ich hatte jetzt ein aufkeimendes Unbehagen oder Problem durch die Schuld jenes Mannes, der Comendador so ähnlich war, daß er mir in manchen Augenblicken derselbe zu sein schien, Incompara sein Name, außerdem war etwas an diesen beiden Namen, das mich veranlaßte, sie aufeinander zu beziehen, oder sie in meinem besonderen Sprachgefühl miteinander verband: Incompara, Comendador; Comendador, Incompara, ich weiß nicht, als seien sie vom gleichen Kaliber oder ebenbürtig, empfehlenswert beide und vergleichbar (um mit Aplomb und Elan und forsch durchs Leben zu gehen, dafür empfehlenswert).
Was jedoch blitzartig in meiner Erinnerung auftauchte, war der andere Blutfleck, den meine Augen gesehen hatten, jener Fleck auf der Treppe bei Wheeler, den ich sorgsam entfernt hatte mitten in der dort verbrachten Nacht, in Wirklichkeit am frühen Sonntagmorgen, aber für mich Samstagnacht, denn über den Büchern war der Tag für mich endlos geworden, und ich war noch nicht schlafen gegangen, ich ging so spät oder so früh zu Bett, daß ich schon die Helligkeit am Himmel erahnte, beruhigt oder gewiegt durch das Rauschen des Flusses. Ich wußte noch immer nicht, von wem oder was es stammte, jenes Blut, am nächsten Tag hatte ich schließlich Peter und Frau Berry danach gefragt, ohne Erfolg: so enttäuschend ihre Antwort, daß ich an der Existenz des großen Blutstropfens zu zweifeln begann, dessen Rand mir in der Nacht widerstanden und sich geweigert hatte, zu verschwinden und zu weichen (und diese künftige Ungewißheit hatte ich bis zu einem gewissen Grad vorausgesehen: an dem, was aufhört und nicht fortbesteht, kann man immer zweifeln, also an allem, denn nichts ist endlos gegenwärtig, oder nur die Gestirne und die Jahreszeiten, ich meine: nichts Menschliches); mir erging es also ein wenig wie Comendador seinerzeit, der der Wirklichkeit der verschiedenen Flecken mißtraute, die er in seiner Panik auf dem Boden gesehen hatte. Aber ich fühlte keine Panik, als ich meinen auf dem ersten Absatz der Treppe bei Wheeler entdeckte, obwohl ich durchaus etwas getrunken hatte und wie in leichtem Fieber war durch die Worte und auch das lange Wachbleiben, durch meine sich endlos verkettende nächtliche Lektüre, vermischt mit den Erinnerungen meines Vaters, mehr seine als meine: »regelmäßiger Mitarbeiter der Moskauer Tageszeitung Prawda ; in Spanien Verbindungsmann, Dolmetscher und Führer des Banditen Dekan von Canterbury; Kenner des ganzen Komplotts der roten Propaganda für den Zeitraum des Konflikts«, all dessen war er beschuldigt worden, Ideen seines besten Freundes, dessen Gesicht er nicht zu sehen vermocht hatte, das von morgen, das sich sehr rasch zeigte, fast schon heute. Aber jetzt waren es auch meine Erinnerungen, bisweilen haben wir welche, die nur vom Hörensagen stammen oder ererbt sind. Wie die Beine meiner Märchenprinzessin unter sechs oder dreizehn oder zwanzig weiteren Paaren.
Es war Zeit, diese unpassende, volle oder mir nicht zustehende Toilette zu verlassen, bestimmt bildete sich draußen wieder eine Schlange, ich war nun zwei Minuten da, in denen niemand hereingekommen oder hinausgegangen war, die Frauen drinnen amüsiert, die in meinem Rücken, im Bereich der Spiegel, lachten zum Großteil schon offen, nachdem sie meinen Dialog mit der sitzenden Karibikbewohnerin gehört
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