Dein Gesicht morgen: Tanz und Traum (German Edition)
nicht echt sein mußte, trotz der – unmöglich britischen, fast nicht einmal dem Commonwealth entstammenden – Farbe ihrer goldenen Nacktheit, es konnte sich um eine bloße Option, um die Verkleidung für eine ewige Diskothekennacht handeln, so wie auch De la Garza glaubte, sich als schwarzer Rapper verkleidet zu haben, und letzten Endes als selbsterfundener Torero oder absurder Goya-Verschnitt daherkam.
Mein Blick war flüchtig, aber nicht verschleiert, er war weder englisch noch aus unserer Zeit, wie er es scheinbar an jenem Morgen vor Pérez Nuix mit Handtuch gewesen war, sie war von der Taille aufwärts unbekleidet und diese junge Frau – für mich war sie jung, fünfunddreißig, so schätzte ich – von der Taille abwärts, ich hatte einen Augenblick lang das Gefühl, ein wenn auch leicht kubistisches Puzzle zu vollenden, so als würden sich die beiden nicht ganz harmonisch ergänzen (sie waren ziemlich unterschiedlich), noch dazu nur in ihren nackten Hälften, nicht in den bekleideten. Und so dauerte mein Schauen nur eine Sekunde, aber während dieser Sekunde war ich durchaus jemand, der schaute, ich tat nicht, als stünde sie mit heruntergestreiftem Rock da und als wüßte ich also nicht, ob sie darunter etwas trug oder nicht. Sie schaute mich ihrerseits an, als sie ihren Satz sagte. Nicht herausfordernd, nicht kokett und natürlich auch nicht begehrlich, weder vorwurfsvoll noch sarkastisch, sondern mit einem spöttischen Gesichtsausdruck und selbstverständlich ohne jede Scham, so als machte es ihr nichts aus, in dieser wenig anmutigen Haltung gesehen zu werden, wenn sie dafür einen kleinen Scherz machen und mich verwirren und verstören konnte (das hätte sie außerdem, da sie nicht einmal mein Gesicht kannte, nicht ohne weiteres voraussehen können, ich hätte auch ein Draufgänger sein und mit zwei Schritten nach vorn reagieren können), sie mußte mehr als die anderen die dumm-komische Seite meiner Erklärung oder Frage erfaßt haben, die gleichzeitig an nicht weniger als acht abgesonderte oder verborgene Frauen gerichtet war, bestimmt hatten sie alle beim ungläubigen Zusammenzucken ihre Verrichtung unterbrochen, ich war sicher, daß nach dem Erklingen meiner Stimme keine Flüssigkeit mehr in die acht Schüsseln gefallen war, eine reflexhafte kollektive Verhaltung, eine Verschließung, ein Lid, der gleiche unterdrückende Muskel kontrahiert, und dem hatte sich zum Glück wohl auch nicht die Frau entziehen können, die sehr wohl mit halb geöffneten, unerschütterlichen Beinen ausgeharrt hatte im ersten Augenblick und in den folgenden – eins, zwei, drei, vier; und fünf, so lange dauerten das Knarren der Tür und ihre drei provozierenden Wörter, »Komm doch nachsehen« –, und auch in denen danach – fünf, sechs, sieben, acht; und neun; oder zehn, so lange dauerten vermutlich meine Perplexheit, mein fotografisches Einprägen des Bildes, meine dankende Antwort und die entschiedene Bewegung, mit der ich die Tür schloß –; und in diesen zehn Sekunden hatte ich auch Zeit, das Verstörendste von allem zu sehen, einen Blutstropfen, der auf den Boden des Kabinetts gefallen war, oder es waren vielmehr zwei, aber der andere, kleinere, befleckte ihren linken Schuh wie eine Paillette, das war sicher nicht weiter schlimm, sie schienen, glänzend und glatt, wie sie waren, wenn auch weiß, aus Lack zu sein oder aus Porzellan, es würde sehr einfach sein, diesen winzigen Fleck von einer so polierten Oberfläche zu entfernen, wenn sie ihn bemerkte.
Ich dachte sogleich, was fast jeder Mann gedacht hätte, alles, was die Menstruation betrifft, ist uns gewöhnlich unbekannt – wir haben ihre Spur nur auf irgendeiner Matratze oder irgendeinem Laken gesehen, ich zumindest habe versucht, das zu ignorieren –, sogar, ob ein Tropfen oder mehr als das unbemerkt auf den Boden fallen kann, wenn eine Frau steht und einen Rock und keinen Slip trägt, ohne Binde oder einen Ersatz dafür, Watte, Papiertaschentücher, irgendein saugfähiges Papier zur Hand zu haben oder vielleicht ein trocknendes wie Löschpapier – nein, das ist undenkbar, idiotisch, die waren steif und rosafarben, ich habe sie nicht mehr gesehen seit der Kindheit, seit der Zeit, in der meine Mutter uns das Märchen erzählte –, ich wußte nichts von diesen Dingen, obwohl ich viele Jahre verheiratet gewesen war, die jetzt, da sie vorbei waren, weniger zu sein schienen, so wie ich auch Luisa niemals im Sitzen hatte urinieren sehen, wie
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