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Dein Gesicht morgen: Tanz und Traum (German Edition)

Dein Gesicht morgen: Tanz und Traum (German Edition)

Titel: Dein Gesicht morgen: Tanz und Traum (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Javier Marías
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»Natürlich nicht«, »Sind Sie verrückt? Hauen Sie ab«, »Hier ist niemand, Mister«, lauteten die Antworten, und nur eine entfernte sich von den simplen Verneinungen: Die Frau ohne sichtbare Strümpfe oder Slip, die beim Hören meiner Mannesstimme nicht die Beine zusammengerückt hatte, öffnete langsam, mit einem leichten Knarren, ihre Tür nach außen und antwortete mir, während sie mich von ihrem Sitz aus anschaute:
    »You come and see.« Das sagte sie: »Kommen Sie doch nachsehen.« Oder: »Komm doch nachsehen.« (Obwohl sich das im Englischen nicht unterscheiden läßt, war es wohl eher letzteres, in ihrem Geist.)
    Der Satz war zu kurz und kantenlos, als daß ich irgendeinen oder keinen Akzent an ihm hätte bemerken können, vielleicht war der k-Laut von come nicht gehaucht und deshalb fremd für England und sogar den Commonwealth und die übrigen ehemaligen Kolonien, aber ich konnte nicht weiter darauf achten, mir war nicht nach phonetischen Präzisierungen zumute, der Anblick verwirrte mich, deshalb war er so kurz wie der Satz oder beinahe, ich selbst schloß rasch wieder ihre Tür, nicht so wie ich an jenem Morgen die von Pérez Nuix’ und Mulryans Büro geöffnet hatte, um zu sehen, wie sie sich den nackten Oberkörper abtrocknete, nicht mit Schwung, nicht mit einem Stoß, eher so, wie ich sie einige Sekunden später vor meiner Kollegin wieder geschlossen hatte, mit einer einzigen entschiedenen Bewegung, wobei ich jedoch das Bild betrachtete und mir sogar einprägte, es dauerte zwölf Sekunden, die ich in der Erinnerung zählte, das der Damentoilette noch weniger, glaube ich, ich stieß die Tür ziemlich rasch zu, während ich zugleich stammelte, sicher nicht mit der Stimme, sondern nur in Gedanken: ›I can see well enough, thank you very much indeed‹; und das stimmte, ich konnte gut sehen, daß sie allein dort war und saß, sie hatte sich nicht wie andere Frauen geziert, die es vermeiden, sich ganz auf die Brille zu setzen, und sozusagen in der Schwebe urinieren – in geringer Entfernung, aber in der Luft –, an öffentlichen Orten ekelt oder schaudert sie dieser Kontakt, sie wissen nicht, wer ihnen vorausgegangen ist, und es gibt in der Welt alle möglichen unsauberen und faulen und schmutzigen und auch giftigen Leute, in jedem Ambiente, auch wenn es noch so schick ist, überall lauern Ansteckung und schmieriger Dreck. Diese Frau war nicht vorsichtig, vor allem, wenn man bedenkt, daß sie anscheinend keine Unterwäsche trug: es war nicht so, daß der Slip auf der Höhe von Strumpfbändern hängen geblieben oder kaum heruntergestreift worden wäre, vielmehr gab es keinen, das stellte ich fest oder entdeckte ich, als die ganze Gestalt sich meinem hochwandernden Blick darbot, die Schenkel so von Kleidungsstücken entblößt wie die Knöchel, der enge Rock hochgeschoben, bis zu den Leisten und zur Hüfte und daher zerknittert (aber viel Stoff gab es wohl nicht, mit Sicherheit war er eher kurz), ein weißer Röhrenrock, die Schuhe mit dünnen, aber soliden hohen Absätzen waren von der gleichen Farbe, sommerlich und wie aus den fünfziger Jahren, dem Jahrzehnt mit dem allgemein besten weiblichen Geschmack, sehr hübsch, wenn auch unerwartet in London und außerhalb der Jahreszeit, die sie am ehesten zulassen würde, wie auch der Rock, ich sah die Form oder den gelben Fleck, unter dem es keinen Büstenhalter gab, eine Bluse mit rundem Ausschnitt und fast imaginären Ärmeln – Ärmel wie Stümpfe, außen bedeckten sie nur den Armansatz und innen wenig mehr als die Achseln, das schloß ich –, das verwirrende waren die robusten, kräftigen und so – so sehr – bloßen Schenkel, sie waren nicht dick, sondern kompakt und dicht, so als würde das Fleisch die ganze Oberfläche ausfüllen bis kurz vor dem Platzen, ohne das geringste überflüssige Fett, aber ohne auch nur einen Millimeter der Haut ungenutzt zu lassen, die straff gespannt war wie eine enganliegende Hülle, sie vergrößerten sich in angemessener Weise in ihrem Aufstieg oder Weg zu den Hüften und den Leisten und der dunklen Spitze hin, die sich mir zeigte (ich konnte sie erkennen, ich glaubte sie zu sehen), die Hüften kamen mir irgendwie mittelamerikanisch vor, oder vielleicht verwiesen sie ebenfalls auf diese fünfziger Jahre, in denen ausgeprägte Kurven geschätzt wurden, oder vielleicht verliehen ihr die krause Haarmähne und die riesigen Ohrgehänge – es waren Ringe von sehr großem Umfang – eine tropische Note, die

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