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Dein Gesicht morgen: Tanz und Traum (German Edition)

Dein Gesicht morgen: Tanz und Traum (German Edition)

Titel: Dein Gesicht morgen: Tanz und Traum (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Javier Marías
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hatten – Kubanerin, Puertoricanerin, Nicaraguanerin oder mehr aus dem Süden, Kolumbianerin oder Venezolanerin oder sogar Brasilianerin; oder Spanierin, auch das war möglich. Ich war unfähig, sie nicht darauf hinzuweisen, eine junge Frau mit so mächtigen Schenkeln, daß ich schon in jenem Augenblick wußte, daß sie mir später wieder präsent sein würden, selbst in anderen Nächten oder an anderen Tagen. Sie hatte stark geschlitzte Augen, ich hatte so viel Zeit, das zu sehen, nicht die Farbe, dafür die etwas breiten Nasenflügel oder allzu belüfteten Nasenhöhlen oder beides, sie wirkte auf mich wie eine dieser Schönheiten, deren Gesichter aussehen, als würden sie unfreiwillig ausatmen, es gibt sie heutzutage zahlreich bei allen Rassen, vielleicht ist diese Nase eines der meistbegehrten Modelle für diejenigen, die sie sich operieren lassen, fast niemand ist zufrieden mit der Summe seiner Gesichtszüge. Und so sagte ich durch die wieder geschlossene Tür hindurch, meine linke Hand hielt tatsächlich noch den Türknauf, damit sie nicht von alleine wieder aufging (der Riegel auf ihrer Seite, drinnen, und ich hatte keine erneute Verriegelung gehört) oder sie darauf bestand, sie vor mir zu öffnen, wer konnte das wissen:
    »Einer Ihrer weißen Schuhe hat einen roten Fleck. Für den Fall, daß Sie es nicht gemerkt haben.«
    Sie hätte mir antworten können, das sei nicht schlimm und gehe mich auch nichts an, im gleichen Ton wie Wheeler (oder barscher), als ich ihn an jenem Samstag schon sehr spät, kurz bevor er sich umgedreht hatte und schließlich die Stufen des ersten Treppenabschnitts hinaufgestiegen war, um sich endlich zurückzuziehen, auf seine heruntergerutschten Socken hingewiesen hatte. Doch die Frau beschränkte sich darauf, »Thank you« zu antworten, und auch daran konnte ich keinen Akzent erkennen. »Roter Fleck« hatte ich gesagt. Ich hatte nicht gewagt, »Blutfleck« zu sagen. Obwohl ich sicher war, daß dieser Tropfen und der auf dem Boden Blut waren, frisch vergossenes, frisch heruntergetropftes Blut.

I ch verließ den Ort mit der gleichen Entschlossenheit, mit der ich ihn betreten hatte, während ich »No luck. No luck« murmelte, »Kein Glück«, so als gäbe ich mir selbst eine Erklärung oder entschuldigte mich bei mir, ich schaute nicht einmal die Frauen an, weder die drinnen noch die draußen, als ich an ihnen vorbeiging (es waren von neuem drei oder vier), Flavia mußte gefunden und wieder an den Tisch ihres Mannes geführt werden, nicht, daß mein Kopf nicht damit beschäftigt gewesen wäre oder daß ich den Auftrag aus dem Blick verloren hätte, aber ein paar Dinge hatten sich jetzt mit ihm vermischt, Verse und Bilder und ererbte Erinnerungen und außerdem ein Märchen, keines davon gärte in mir, denn keines war bedrückend, aber sie blieben alle da, in der Schwebe, vielleicht auch in der Erwartung, später wieder aufgegriffen zu werden vom müßigen Denken – das heißt, vom aktivsten –, am Ende des Tages, wenn ich endlich schlafen gehen würde.
    Das Lied von Laredo und von Armagh ging mir weiter im Kopf herum, trotz der überlauten Musik der Diskothek, sie war ohrenbetäubend, als ich durch die beiden Türen gegangen war und mich im Saal wiederfand, kurze Zeit abwesend und die Menge noch größer, das Lokal bewegte sich auf seinen Siedepunkt zu. Aber wenn eine alte bekannte Melodie wieder auftaucht und sich in uns festsetzt, ist es unmöglich, sie ohne die Vermittlung von etwas Äußerem und Andersartigem zu vertreiben (vielleicht durch einen Schrecken, wie beim Schluckauf), »And when Sergeant Death’s cold arms shall embrace me«, das stammte aus der irischen Version von Armagh, »Und wenn die kalten Arme von Wachtmeister Tod mich umarmen«, im Englischen lebt noch die Vorstellung des Todes als einer männlichen Gestalt oder eines männlichen Wesens fort, obwohl die Gattungsnamen des grammatischen Geschlechts entbehren, mit Ausnahme des Wortes »Schiff« – so glaube ich –, aber das war nicht immer so oder nicht bei allen, das verwandte Deutsch bewahrt sehr wohl die Genera, und hier besteht kein Zweifel, daß es der Tod ist und daß er als Mann dargestellt wird, wie im Fall von »Der Tod und das Mädchen«, dem klassischen Thema, man sieht es oft auf Gemälden oder Stichen, es ist ein Ritter mit Helm und Rüstung und Lanze oder vielleicht mit Schwert oder beiden Waffen, Sir Death wurde er in mehr als einem mittelalterlichen englischen Werk genannt, und man hat ihn

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