Dein Gesicht morgen: Tanz und Traum (German Edition)
etwas mehr über das nach, was du gesagt hast. Um mir zu erklären, warum man nicht kann.«
Ich hatte geschwiegen, nachdem ich keine Antwort auf seine dumme Frage gefunden hatte. Oder vielleicht war sie nicht so dumm, und keine Antwort war leicht. Ich hatte nicht das Gefühl, daß ich mich weigern konnte. Und außerdem hatte es keinen Sinn nach allem, was wir in jener Nacht schon hinter uns gebracht hatten.
»Ich weiß, was 1453 in Konstantinopel geschehen ist«, sagte ich in Ermangelung anderer Worte. Vor sehr vielen Jahren, vor meiner Zeit in Oxford, hatte ich ein wunderbares Buch von Sir Steven Runciman gelesen, der nicht aus Oxford, sondern aus Cambridge war: The Fall of Constantinople 1453 , über besagten Fall von Konstantinopel. Es stimmte nicht, daß ich noch wußte, was geschehen war, ich erinnerte mich nicht daran, man liest und lernt, und dann vergißt man, wenn man nicht weiterliest, wenn man nicht weiterdenkt.
»Hm«, antwortete Tupra, oder es war »I see« , was er sagte. »Aber ich werde dir auch von ein wenig früher erzählen.«
Er startete, drehte eine Runde um den Platz, um ihn in Richtung Norden zu verlassen. Ich wußte nicht, wo er wohnte, ich dachte: ›Vielleicht in Hampstead.‹ Ich schaute noch einmal mit zurückgewandtem Kopf zu meinen Lichtern hoch, auch zu denen des vertrauensseligen Tänzers. Tupra blickte aus dem Augenwinkel auf meine beiden Blicke. Es war nach wie vor alles erleuchtet, die tanzenden Fenster, mein stilles Fenster. Meines mußte zwangsläufig so bleiben und würde so bleiben, bis ich zurückkäme, bei Tupra wußte man nie, wann man nach Hause kam. Und auch wenn er noch so sehr darauf beharrte, gab es zum Glück niemanden zu Hause, der auf mich wartete, der in meiner Abwesenheit etwas hätte löschen können, während ich nicht da war. Niemand hatte meine Schlüssel, und niemand wartete dort jemals auf mich.
Juli 2004
(Ende des zweiten Teils von Dein Gesicht morgen )
Über den Autor
Javier Marías, 1951 in Madrid geboren, hat bisher zehn Romane, zwei Erzählbände und mehrere Sammelbände mit Essays und Zeitungsartikeln veröffentlicht. Seine Romane wurden in 34 Sprachen übersetzt, erscheinen in 44 Ländern und wurden mit vielen Preisen ausgezeichnet: »Mein Herz so weiß« mit dem Spanischen Kritikerpreis und dem IMPAC Dublin Literary Award; »Morgen in der Schlacht denk an mich« mit dem Rómulo-Gallegos-Literaturpreis, dem Prix Femina étranger und dem Mondello-Preis. Für sein Gesamtwerk wurde er mit dem Nelly-Sachs-Preis geehrt. Weltweit wurden seine Bücher mehr als fünf Millionen mal verkauft.
[Zurück zum Anfang]
Weitere Kostenlose Bücher