Dein goettliches Herz entflammt
gegenüberliegenden Wand sah ich einen breiten Altar mit Unmengen von eingetrocknetem Kerzenwachs, kleinen Voodoo- und Heiligen-Statuen, Lebensmitteln, billigen Schmuckstücken und eingetrocknetem Blut. Auch das Foto einer Frau mit Turban und eine große Statue von Jesus Christus am Kreuz konnte ich erkennen. Um den Sockel der Statue ringelte sich ein gelber Python. Ein kleiner Python, aber wenn es um Schlangen ging, hatte Größe für mich noch nie eine Rolle gespielt.
Ich wurde blass, als eine Welle der Angst über mich hereinbrach. Meine Arme und Beine waren plötzlich taub und mein Herz begann, so schnell zu schlagen wie Sebastians Trommeln. Ich erstarrte und war unfähig, noch einen Schritt zu gehen. Abstand halten. Schön Abstand halten.
»Schon okay«, sagte Sebastian, der mein Entsetzen spürte. »Schlangen helfen dem Priester dabei, sich zu konzentrieren und mit den Geistern in Verbindung zu treten.«
»Kommt, kommt.« Jean schloss die Terrassentüren und schlurfte dann zum Altar, wo er die Schlange behutsam vom Sockel nahm und sich um die Schultern legte. Der Schwanz der Schlange ringelte sich unter seinem Hals, während er die Altarkerzen anzündete.
Meine Nackenhaare richteten sich auf. Jean drehte sich um und kam zwei Schritte auf uns zu. Noch ein Schritt und ich würde mich umdrehen und hinausrennen. Ich würde mich nicht mehr beherrschen können. Die Schlange starrte mich an.
Doch Jean blieb nach dem zweiten Schritt stehen, holte tief Luft und schloss die Augen. »Legba«, flüsterte er ehrfürchtig. Dann hob er die Hände und streichelte die Schlange. »Papa Legba, öffne das Tor für mich, damit ich hindurchgehen kann. Wenn ich zurückkehre, werde ich die Loa belohnen. Papa Legba ouvri baye-a pou mwen, pou mwen pase. Le ma tounen, ma salyie lwa yo. Papa Legba ouvri baye-a pou mwen, pou mwen pase. Le ma tounen, ma salyie lwa yo.«
Jean wiederholte die Beschwörung so oft, bis sie wie ein Lied klang. Schneller und schneller. Er wiegte sich hin und her, während er die Worte aussprach, und versetzte sich in eine Art Trance. Die Schlange bewegte sich mit Jean, vor und zurück, vor und zurück, und starrte mich unverwandt an. Es war merkwürdig, aber Sebastian und ich schwankten ebenfalls hin und her.
Plötzlich hörte Jean zu reden auf. Es war totenstill im Raum.
Ich war von diesem plötzlichen Umbruch so erschrocken, dass ich um ein Haar geschrien hätte.
Sechs Sekunden vergingen. Ich zählte sie, um meinen rasenden Puls zu beruhigen, aber es funktionierte nicht. Langsam öffneten sich Jeans Augen, doch sie sahen ganz anders aus als vorher. Irgendwie milchiger. Er lächelte und sagte etwas, das ich nicht verstand, während er uns oder etwas hinter uns ansah.
»Was ist dein Begehr?«
Ich schluckte schwer und warf Sebastian einen schnellen Blick zu. Er wirkte genauso nervös wie ich und war noch blasser als sonst. Als ich tief Luft holte, um mich etwas zu beruhigen, fiel mir auf, dass Jean den Kopf in den Nacken gelegt hatte und auf den Ventilator an der Decke starrte. »Ähm.« Ich räusperte mich. »Ich suche nach einem Weg, einen Fluch von mir zu nehmen.«
Es ging so schnell, dass ich nicht einmal mitbekam, wie er den Kopf senkte. In einem Moment war sein Blick an die Decke gerichtet, im nächsten sah er mich an. Zu schnell, um menschlich zu sein. Ich erstarrte. Die Schlange richtete sich auf und züngelte in meine Richtung.
Und dann war plötzlich die Hölle los.
Jean oder Papa Legba – oder wer auch immer er gerade war – schrie gellend und hüpfte auf und ab, als hätte er Feuer gefangen. Die Schlange fiel zu Boden und verschwand unter dem Altar, wo sie sich umdrehte und mich anfauchte. Zwischen Papa Legba und Jean Solomon entbrannte ein heftiger Streit. Ein und dieselbe Person. Zwei verschiedene Stimmen.
Langsam wich ich zurück, während ich ein paar Fetzen des Sprachgemisches aus Englisch und Französisch oder was auch immer die beiden da miteinander sprachen, aufschnappte.
Sebastian packte meine Hand, als Jean zu sich sagte: »Sie kann dir nichts tun…«
»Pah! Legba hat keine Angst!« Jean rannte direkt auf mich zu und blieb so dicht vor mir stehen, dass unsere Gesichter nur noch wenige Zentimeter voneinander entfernt waren. Ich konnte mich weder bewegen noch atmen. » MIR MACHST DU KEINE ANGST!«
Auf Jean Solomons Stirn traten dicke Adern hervor. Sein Gesicht war vor Wut ganz verzerrt. Dann richtete er sich auf und marschierte wild gestikulierend zum Altar zurück.
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