Dein göttliches Herz versteinert (German Edition)
sehr gewollt, dass ich in eine Sitzung des Rats der Neun geplatzt war und verlangt hatte, Schülerin an der Presby werden zu dürfen.
Bei dem Gedanken daran musste ich lachen. Ich wollte so viel wie möglich über Athene lernen – wie ich Sie finden und besiegen konnte, wie ich jene retten konnte, die mir so viel bedeuteten. Ich wollte so gut wie nur irgendwie möglich vorbereitet sein. Aber gleichzeitig gab es da noch diesen frustrierten, extrem ungeduldigen Teil in mir, der »scheiß drauf« brüllen und Sie mit einem Aufgebot sämtlicher Mächte angreifen wollte.
Ich wusste nur nicht, wo ich Sie finden würde.
Die Sorgen, die ich mir um Violet, meinen Vater und meinen Fluch – mit dem ich mich immer noch nicht abgefunden hatte – machte, fraßen mich auf und ich ließ es zu. Ich verlor mein Ziel aus den Augen, ich konnte mich nicht mehr konzentrieren.
Ich musste mich auf die Presby, auf das Wissen, das Training und auf die geheime Bibliothek konzentrieren.
An die Schule der Novem, die vom Kindergarten bis zur 12. Klasse reichte, war auch ein vierjähriges privates College angeschlossen, das zum Teil in der Presbytère, zum Teil in mehreren anderen Gebäuden auf beiden Seiten der St. Ann Street untergebracht war. Das Wissen der Novem, sämtliche ihrer Ressourcen befanden sich hier …
Zwar gab ich es nur ungern zu, aber eine der besten Ressourcen war Bran, der Dreckskerl.
Ich war stocksauer auf ihn, weil er mich bis an meine Grenzen gebracht hatte, bis zu dem, was ich am meisten fürchtete. Aber letztendlich hatte er genau richtig gehandelt. Er wusste, was er tat, und obwohl ich erst eine Trainingseinheit hinter mir hatte, musste ich zugeben, dass er der Beste war, der mich je unterrichtet hatte. Ich wusste, dass meine Wut unangebracht war, dass dahinter im Grunde genommen Angst steckte.
Die einzige Chance, Athene zu besiegen, war mein Fluch, aber … der Gedanke daran, dafür dieses Ding in mir zu benutzen, war grauenhaft.
Ich wollte es nicht und tief in meinem Innern hatte ich furchtbare Angst davor, dass es Kontrolle von mir ergreifen würde, dass ich, wenn ich jetzt begann, mit dieser Macht in mir herumzuspielen, zum Monster werden würde, noch bevor sich der Fluch an meinem einundzwanzigsten Geburtstag vollständig erfüllte. Dass ich die Gorgo nicht mehr kontrollieren konnte, wenn ich sie erst einmal herausgelassen hatte.
Ich wollte bleiben, was ich war … ich.
Ein Schluchzen blieb in meiner Kehle stecken, als eine Welle der Einsamkeit über mich hereinbrach.
Nur ein Mädchen auf einer Bank.
Ich musste lachen bei diesem Gedanken. Dann schniefte ich und wischte mir mit dem Arm über das Gesicht. Ja, klar, nur ein Mädchen – mit einer durchgeknallten griechischen Göttin auf den Fersen, einem jahrtausendealten Fluch und einem Vater und einer Freundin, die gerettet werden mussten …
Nach einer Weile drückte ich die Handballen auf meine Augen und versuchte, meinen Kummer zu verdrängen, indem ich langsam ein- und ausatmete.
»Der erste Tag ist nie einfach, stimmt’s?«
Ich ließ die Hände sinken und blinzelte. Im Gras vor mir stand Michel Lamarliere, mein Vormund für die nächsten sechs Monate, bis ich achtzehn wurde. Er hatte die Hände auf dem Rücken verschränkt und sah mich freundlich mit seinen grauen Augen an. Der Mann hatte eine beeindruckende Ausstrahlung, eine Aura, die jeder halbwegs vernünftige Mensch spüren konnte. Das verschlungene Tattoo, das sich seitlich an seinem Hals hoch bis zu Ohr und Schläfe zog, verstärkte diesen Eindruck nur noch.
Sein Aussehen passte zu seiner Rolle als eines der neun Oberhäupter der Novem und Kopf der Hexenfamilie Lamarliere. In seiner Welt war Michel so etwas wie eine Ausnahme; in Hexenfamilien wurden die Zauberkräfte in der Regel über die Frauen weitergegeben, doch gelegentlich passierte das auch mal bei den Männern – Michel war einer von ihnen. Sebastian, sein Sohn, noch einer …
Es fiel mir schwer, Michel anzusehen und beim Anblick seiner rabenschwarzen Haare und sturmgrauen Augen nicht sofort an Sebastian zu denken. Und noch schwerer, die unangenehme Mischung aus Verwirrung und Bedauern zu ignorieren, die ich dabei empfand. Seit Violets Verschwinden hatten Sebastian und ich so gut wie gar nicht mehr miteinander gesprochen. Und nachdem er mit eigenen Augen gesehen hatte, was ich einmal sein würde … na ja, ich war ziemlich sicher, dass sich sein eventuell vorhandenes Interesse an mir von einer Sekunde zur anderen in Luft
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