Dein göttliches Herz versteinert (German Edition)
drückte den Rücken durch. Ein leichter Wind war aufgekommen. Ich strich mir die Haare aus dem Gesicht, damit ich den See gut überblicken konnte. Zeus’ perfekter Tempel strahlte wie ein Leuchtturm, die Feuer in den steinernen Schalen spiegelten sich im Wasser. Musik und Stimmen wurden bis zu mir herübergetragen. Der Kontrast zwischen dem, was ich vor mir sah, und dem Ort, an dem ich stand, ließ mich aus irgendeinem Grund lächeln.
Ich stand im Schatten des Mondlichts, während hinter mir ein eingestürzter Tempel aufragte. Etwas angeschlagen, aber er stand noch. So wie ich.
Der warme Wind strich sanft über meine Haut. Ein Gefühl von Gewissheit und Gelassenheit erfüllte mich und für einen Moment blieb ich noch so stehen und ließ mich davon einhüllen, ließ es in jeden Teil meines Körpers fließen. Und dann ging ich die Stufen hinunter und lief wieder in den Garten mit den Statuen. Sie machten mir keine Angst mehr, sie machten mich nur noch traurig. Sie erinnerten mich an das, was getan werden musste. Es würde nie wieder einen Ort geben, an dem es so aussah wie hier. Es endet mit mir.
Ich ging um das gestürzte Schlachtross herum, das ich bei meinem ersten Besuch hier gesehen hatte. Als ich zu der Mutter mit dem Kind kam, blieb ich stehen und starrte das Gefängnis aus Marmor an, in dem sie eingeschlossen waren.
Das Kind in der Decke war geliebt worden. Sein dickes Ärmchen hing entspannt herunter. Der Mutter sah man die Angst im Gesicht an, ihre weißen Marmoraugen waren vor Entsetzen weit aufgerissen. Und das arme Kind konnte nicht älter als zwei oder drei Jahre gewesen sein. Erstarrt. Sein ganzes Leben gestohlen.
Ich streckte den Arm aus, berührte die kleine Kinderhand und spürte ein leichtes Kribbeln. Ich schloss die Augen und ertappte mich dabei, dass ich mich stumm bei ihm entschuldigte. Es tut mir leid. Es tut mir so leid.
Ich entschuldigte mich damit nicht nur bei dem Kind, sondern bei allen Opfern der Gorgonen, meinen Vorfahrinnen. Bei meinem Vater, meinen Freunden und allen anderen, die wegen unserer Macht leiden mussten. Ich würde es wiedergutmachen. Ich würde sie rächen. Ich musste. Ich machte die Augen auf und warf dem Kind noch einen letzten Blick zu.
Es blinzelte.
Ein erstickter Schrei drang über meine Lippen, als ich zurückwich. Ich knickte um, stürzte und landete auf meinem Hintern. Meine Ellbogen gruben sich tief in die weiche Erde. Mit wild klopfendem Herzen rappelte ich mich auf.
Für den Bruchteil einer Sekunde waren die Augen und Lider des Kindes zu Fleisch und Farbe vor einem Hintergrund aus hartem, verwittertem Stein geworden. Und sie hatten geblinzelt, bevor sich das Fleisch wieder in Marmor verwandelt hatte.
Heilige Scheiße.
Fünfundzwanzig
F assungslos stand ich in dem Garten und starrte das versteinerte Kind an. Ich konnte doch nicht … dieses Kind … ich wurde verrückt … genau wie meine Mutter … Doch die Gorgo in mir hatte es gewusst.
Und dann rannte ich los und kämpfte mich durch den Wald.
Als ich die Rasenfläche vor dem Tempel erreichte, war ich so erschöpft, dass ich keuchend nach Luft schnappte. Jeder Muskel in meinem Körper brannte. Nach einer kurzen Pause schlich ich mich an der Mauer entlang in Athenes hübschen Garten und von dort aus in die Haupthalle, in der es von bewaffneten Wächtern und Anhängern der Göttin nur so wimmelte.
Sofort sah ich mich nach Sebastian um. Nein! Er war verschwunden.
Mein Blick wanderte hektisch durch die Halle, über die Nische mit der Statue des Zeus, an den Säulen vorbei und –
Plötzlich hatte ich das Gefühl, als wäre die Welt stehen geblieben. Ich sah wieder zu der Statue. Athene hatte Zeus getötet. Niemand wusste, warum der Krieg begonnen hatte. Es gab ein Kind, dem vom Schicksal bestimmt worden war, ihn zu töten, ein Kind, das die Statue in der Nische einst in den Händen gehalten hatte.
Warum behielt Sie die Statue ihres Vaters? Wenn ich zu der Nische ging und die Statue berührte, würde dann ein unheimliches Kribbeln durch meine Hand schießen?
Ich würde mein Leben darauf verwetten, dass es so sein würde.
Athene marschierte in die Halle. Sie trug ein Kettenhemd und eine Rüstung aus Gold über einem kurzen weißen Gewand, das ihr bis knapp ans Knie reichte. Die Flammen der Feuer spiegelten sich in der auf Hochglanz polierten Oberfläche ihrer Rüstung und ließen Sie wie einen Stern strahlen. Auf ihrem Kopf thronte ein Helm in griechischem Stil, auf den Rücken hatte Sie einen
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