Dein ist die Rache
keinen Trost, aber das hat sie auch nicht erwartet.
Die Zeit ist wie in einem Nebel vergangen. Nach der Flucht von Big Duncs Bauernhof fuhr sie direkt nach Hause, doch ihre Wohnung war so kalt und abweisend wie ein ungeliebter Partner. Gespenstergleich trieb sie von Raum zu Raum und suchte nach Vertrautheit. Nach Wärme. Nach etwas, das glücklichere Erinnerungen oder ermutigendere Gedanken auslöste. Sie fand nichts. Nahm ihren Laptop mit ins Pub und gab mehr Geld, als sie hatte, für die Bestellung neuer Kleider aus, die sie nicht braucht. Trank zwei Wodka-Coke, übergab sich in der Toilette und ging hinaus in den Park. Saß da und las ein Buch, während sie an einem Supermarkt-Sandwich nagte: verstand nichts und schmeckte noch weniger.
Erst hier und jetzt bekommt sie wieder Kontakt mit ihren eigenen Gedanken. Hier, jetzt, denkt sie in ihrer eigenen Stimme.
Sie spielt am Radio herum. Es kommt etwas Poppiges, und das gefällt ihr nicht. Sie findet einen Klassiksender. Gibt sich einem melancholischen Cellokonzert hin, das als Begleitung besser zu dem düsteren, wolkenverhangenen Sonnenuntergang passt, den sie durch die schmutzige Scheibe betrachtet.
»Ich vermisse dich, Si«, sagt sie wieder. Sie hat es schon so oft gesagt. Nicht mit ihm gesprochen. Das wäre seltsam. Aber seine Erinnerung beschworen, seine Präsenz. Die Tatsache, dass sie ihn verraten hat. Seine Ermordung zuließ und nicht betroffen genug war, um zu protestieren.
Später, sollte sie die Chance dazu haben, wird sie einen Ort für ihre Schuld finden. Sie wird sich niemals herausreden, aber akzeptieren, dass sie für eine Weile verrückt geworden ist, als ihr Freund starb. Zu einem Halbding wurde. Als Leere existierte. Sich von Gedanken abschottete, die sie nicht ertrug, und von Ängsten, die sie sich nicht einzugestehen wagte. Sie wird sich selbst einreden, dass sie jung war, naiv und dass der Gedanke an Mord, einen absichtlichen Tod, nie in ihr blödes hippes Leben eindrang. Aber im Augenblick hasst sie sich dafür, dass sie keine drängenden Fragen stellte, als Simon starb. Dass sie es so aussehen ließ, als wäre er ihr egal.
»Wir sehen uns bald, Si«, sagt sie sanft.
Sie spürt, dass eine gewisse Wahrheit in dieser Feststellung liegt. Nicht dass sie sich je etwas antun würde, aber in dieser Woche hat schon zweimal jemand versucht, sie umzubringen. Sie kann nicht schmerzfrei schlucken. Kann nicht die Augen schließen, ohne wieder vor sich zu sehen, wie der Mann an seinem eigenen Wagen zerquetscht wird. Wird die Erinnerung nicht los an knirschende Knochen und schmatzendes Blut, diese widerlichen Geräuschfetzen, die sich ihr einprägten, während sie in den bewachsenen Straßengraben taumelte, den Slip um den Knöchel baumelnd, Schmutz und Sand im Gesicht.
Sie blickt zum Telefon. Wünscht sich, sie hätte einen Therapeuten. Jemanden, der ihr sagen könnte, ob sie dem Mann simsen soll, der sie zu töten versucht hat, um ihn zu fragen, ob er auch Simon ermordet hat.
Sie parkt ein Stück entfernt von den dunklen Winkeln des Parkplatzes. Die Scheinwerfer sind ausgeschaltet, doch es ist noch hell genug, dass sie nicht befürchten muss, ein anderes Fahrzeug würde auf sie auffahren. Als ob sie das kümmern würde. Zwei sind bereits an ihr vorbeigekommen. Ein halbes Dutzend stand auf dem Parkplatz, als sie vor dreißig Minuten schon einmal durchgefahren ist.
»Was willst du tun?«
Das ist die Frage. Sie klappt die Sonnenblende mit dem Schminkspiegel herunter. Spricht die Frage noch einmal aus und beobachtet die Bewegung ihrer Lippen. Sieht sich an. Nimmt die von ihren heißen, nassen Augen beschlagene Brille ab und wischt sie sauber. Fährt sich mit dem Handrücken übers Gesicht. Zieht lautstark den Rotz hoch und betrachtet sich angewidert.
Suzie hat sich noch nie so allein gefühlt. So verloren. Ihr Leben kommt ihr armselig vor. Die Schulden. Die winzige Wohnung mit den Möbeln von der Wohlfahrt oder aus zweiter Hand. Die zum Stillstand gekommene Karriere. Mieser Lebenslauf. Und eine einzige, verpfuschte Beziehung.
»Du bist nicht mal hübsch«, sagt sie laut, und es macht sie plötzlich wütend. »Hässliche Schlampe«, faucht sie sich giftig an. »Fick dich!«
Sie knallt die Sonnenblende hoch ans Wagendach. Holt tief Luft, aber beim Ausatmen tut ihr die Kehle weh, und sie muss husten. Dann kommen ihr wieder die Tränen, und sie verliert über ihrer Schwäche die Beherrschung und beißt die Zähne zusammen. Wütend dreht sie den
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