Dein ist die Rache
Orangensaft. Wie die Thermoskanne, in der er transportiert wird. Suzie trinkt ihn dankbar. Er wärmt sie. Verdrängt den Geschmack von Blut und den Speichel aus ihrem Mund.
»Besser?«
Suzie nickt und legt beide Hände um den Metallbecher. Sie lässt sich den Dampf in die Nase steigen. Inhaliert tief.
»Süß«, sagt sie und ringt sich ein Lächeln ab.
McAvoy trägt Lilah an der Hüfte. Das Baby ist hellwach. Versucht, mit einer winzigen Hand das Ohr seines Vaters zu erreichen.
»Danke«, sagt McAvoy, drückt seiner Tochter einen Kuss auf den Kopf und macht beruhigende Geräusche. »Aber alle Babys sind süß, oder?«
Suzie scheint darüber nachzudenken. »Mir sind Häschen lieber.«
»Ja? Dann müssen Sie ein Stadtmädel sein. Wenn man auf dem Land aufwächst, empfindet man das anders. Eine echte Landplage.«
»Ich könnte niemandem vertrauen, der Häschen nicht mag.«
»Ich sagte nicht, dass ich sie nicht mag. Nur dass sie eine Plage sind.«
Suzie nippt an ihrem Kaffee. »Sie wirken gar nicht wie ein Polizist«, sagt sie leise.
»Das liegt an der Aufmachung, was?«, sagt er mitfühlend. »Ich weiß, ich weiß.«
Er trägt Pyjamahosen und ein Rugbyhemd unter einer wasserfesten Jacke, die er hinten im Wagen entdeckt hat. Als er Lilah noch schnell zu einem Ausflug mitnahm, bevor er sie ins Bett brachte, hatte er sich seine wahren Absichten nicht eingestanden. Tat überrascht, als der Wagen plötzlich vor Suzies Wohnung stand. Sagte sich aber dann, es wäre eine Pflichtverletzung, wenn er ihr nicht folgte, als er sie die Tür hinter sich zuknallen und in den Peugeot steigen sah.
Er hat Roisin noch nicht angerufen, wo er so lange bleibt. Wird ihr morgen sagen, dass er sie nicht wecken wollte. Dass er und Lilah an einem hübschen Ort ein Nickerchen gemacht und die Nacht angenehm verbracht haben.
Suzie verzieht das Gesicht, als sie den Blick zu McAvoys hünenhafter Gestalt vor seinem Auto hebt. Sie sitzt auf der Beifahrerseite, die Füße durch die offene Tür nach draußen gestreckt. Sie kann sich nicht vorstellen, wie er in das winzige Fahrzeug passt.
»Das ist wirklich Ihr Auto? Ich wette, Sie brauchen keinen Überrollbügel.«
McAvoy lacht. Nimmt ihr den Becher aus der Hand und nippt nachdenklich daran. »Hatte früher einen Minivan. Er ist explodiert.«
»Sie sind vielleicht ein Glückspilz.«
»Das Glück der Iren, sagt ein Freund immer.«
»Aber Sie sind aus Schottland. Es klingt jedenfalls so.«
»Das ist ja der Witz.«
»Oh.«
Schweigend lassen sie das Getränk zwischen sich hin und her wandern. Es ist ein eigenartig intimer Moment. Sie fühlen sich seltsam wohl in der Gesellschaft des anderen.
»Sie sind mir gefolgt?«, fragt Suzie, die immer noch zu begreifen versucht, was ihr McAvoy als Erstes mitteilte, als er sie mit Armen vom Boden auflas, die den Wagen gleich mit hätten anheben können.
McAvoy nickt. »Sie wissen, was ich Sie fragen wollte …«
Suzie beißt sich auf die Lippe. Sie sieht hoch zum Himmel, wo der Mond sich teilweise hinter Wolken versteckt, die sie an verbranntes Popcorn erinnern.
»Ich war das«, sagt sie verzagt. »In jener Nacht. Hier. Mit dem Mann.«
McAvoy wartet ab. »Das weiß ich. Wir haben Ihre Fingerabdrücke.«
Sie runzelt die Stirn. »Aber ich habe den Hörer abgewischt.«
McAvoy wendet den Blick ab. »Nein, von der Motorhaube des Wagens.«
Suzie verzieht peinlich berührt das Gesicht. »Oh.«
»Was ist passiert?«
»Weiß nicht.«
»Suzie …«
»Der Wagen kam aus dem Nichts«, sagt sie müde und trinkt den Kaffee aus. »Wir haben gespielt. Dann hat ihn der Wagen angefahren. Ich konnte gerade noch rechtzeitig zur Seite springen.«
»Und Sie haben ihn da liegen lassen.«
»Ich habe einen Krankenwagen gerufen.«
»Aber nicht die Polizei?«
»Nein.«
Suzie versucht, McAvoys Blick standzuhalten, doch jetzt weicht sie ihm aus. Sieht den Mond an.
McAvoy mustert sie einen Moment lang. An ihrem Kinn klebt getrocknetes Blut. Einen Arm hat sie schützend um die geprellten Rippen gelegt. Sie hatte abgelehnt, sich von der Polizeistreife oder der Ambulanz ins Krankenhaus bringen zu lassen, die Minuten nach McAvoys Anruf eintrafen. Eine Einheit des Holderness Policing Team hat Melissa ins Revier an der Priory Road gebracht, wo sie morgen vermutlich mit einer ganzen Liste von Anklagen von sexueller Nötigung bis zu Mordversuch rechnen muss. Der Krankenwagen war für den jungen Mann bestimmt, der auf dem Beifahrersitz einen Blowjob bekommen hatte. Er
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