Dein ist die Rache
zustande.
»Tut mir leid. Es ist zum Verzweifeln. Ich musste es versuchen. Ich bin nicht einmal sicher, ob sie es ist. Er sagte Suzie, aber vielleicht hat er gelogen …«
Harry krächzt wieder. Schmeckt Blut. Blut und Wodka.
»Es wird immer schlimmer. Dabei hätte es so einfach sein können. Sehen Sie sich nur an, wie weit es gekommen ist. Es ist nicht zu Ende, das weiß ich. Ich habe es nur noch schlimmer gemacht. Er wird so wütend sein …«
Harry weiß, was er sagen möchte. Kann fühlen, wie die Worte sich in seinem Hirn zusammensetzen. Will sagen, egal, worum es hier geht, er wird nie ein Wort darüber verlieren. Will sagen, dass er das Gefühl, zu sterben, nicht aushält. Will wissen, wo seine Brille ist und ob man sie reparieren kann.
»Ich dachte, Sie hätten sich den Hals gebrochen. Vielleicht ist es auch so. Ich weiß nicht. Wenn Sie sich das Genick gebrochen hätten, hätte ich einfach weggehen können. Jetzt muss es wie ein Unfall aussehen.«
Harry versucht, sich zu bewegen. Merkt, dass er seine Glieder nicht spüren kann. Dass es nur auf einer Seite seines Körpers weh tut. Auf der anderen fühlt er überhaupt nichts.
»Es tut mir sehr leid.«
Er ist zerbrochen. Seine Glieder abgeknickte Äste, sein Rücken zersplittertes Glas. Er liegt auf dem Rücken, in die Tür gequetscht. Seine Haltung erzählt die Geschichte seines Todes. Eines Mannes, der auf der Treppe gestolpert ist und die Flammen nicht mehr löschen konnte …
Sein Hals ist schrecklich nach links verdreht, so dass Harry die Zigarette nicht sehen kann, die eine behandschuhte Hand in sein wodkagetränktes T-Shirt drückt. Er kann die Arme nicht bewegen, um sie wegzuschnippen. Kann nur zusehen, wie es zu qualmen beginnt, während ihm die Augen aus dem Kopf quellen.
Er sieht den Mörder zur Hintertür gehen, denselben Hammer noch in der Hand, mit dem er das Schloss geknackt und ihm den Schädel eingeschlagen hat. Schmerzen jetzt. Hitze. Rauch und Flammen.
Er keucht, versucht, den Mund frei zu bekommen, zu sprechen.
Schluckt gerinnendes Blut. Beginnt zu würgen.
Hustet und übergibt sich, erstickt an Blut und Erbrochenem, während die Flammen sich über seine zerlumpten Kleider auf den Boden ausbreiten.
Er ist tot, bevor er den Gestank seiner eigenen, verbrannten Haut ertragen muss.
Kapitel 4
Suzie scheint zu beten. Sie stützt die Ellbogen auf die Knie, hat die Hände fest verschränkt, während beide Daumen sich so kräftig in ihre Stirn pressen, dass sie Mulden hinterlassen. Ihre Lippen bewegen sich lautlos, als würde sie um einen Segen oder um Gnade bitten.
Ihre Gedanken sind alles andere als heilig.
Sie hat sich in Erinnerungen verloren. Wird von Bildern verzehrt, die ungefragt an die Oberfläche drängen.
Einen Moment lang befindet sie sich wieder im roten Raum mit seiner Glitzerkugel und den samtenen Betttüchern. Sie starrt auf nackte Gestalten. Schreckt zurück, bricht in nervöses Gelächter aus, betrunken und schwindlig genug, um die Stimmung kippen zu lassen. Sie starrt in eine Maske; anzüglich und lasziv, irgendwie unpassend auf diesem fleischigen Körper, der seine Geilheit nicht verbergen kann.
Dann hat sie sich wieder unter Kontrolle. Sagt ja. Lässt sich gehen. Fühlt eine warme, vertraute Hand in der eigenen. Akzeptiert die Erlaubnis wie einen Segen.
Sie liegt auf dem Rücken, das Gewicht lastet schwer auf ihr. Das Licht wirft Schatten auf ein grunzendes, zustoßendes Gesicht, das sich einer Lust hingibt, die ebenso Schmerz sein könnte …
Sie schüttelt sich. Drängt die Erinnerung zurück. Verzieht ihre Lippen zu einem Lächeln. Verbirgt sich. Versteckt ihre Gefühle, sogar vor sich selbst …
Suzie ist sechsundzwanzig. Zierlich. Um die Mitte herum ein wenig fülliger, als ihr lieb ist. Verrückt, nennen ihre Chefs sie, wenn die Kunden etwas über ihre vielfarbigen Nägel und den klobigen, selbstgemachten Schmuck sagen. Heute trägt sie einen kurzen schwarzen Rock über Leggings, ein langärmliges weißes Top und Flipflops. Der flauschige Disney-Schal um ihren Hals bedeckt das obere Ende einer Tätowierung, die ihre Bosse in der Anwaltskanzlei für tageslichtuntauglich erklärt haben. Dann versuchte sie, guten Willen zu beweisen, aber ihre bis zum Ellbogen reichenden Spitzenhandschuhe wurden als noch störender empfunden als die Schmetterlings-Tattoos an den Handgelenken. Daher ist sie dazu übergegangen, Schweißbänder aus neonfarbenem Frottee zu tragen. Sie rechnet damit, dass man sie bitten
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