Dein ist die Rache
wird, auch die abzulegen, sobald einer der Seniorpartner den Mut dazu aufbringt. Ihre schulterlangen Haare sind zu einer Farbe irgendwo zwischen Kupfer und Herbstlaub getönt, und heute hält sie ein rosa Stirnband von ihrem unauffälligen, aber hübschen Gesicht zurück. Winzige Kolibris baumeln von den Läppchen ihrer mehrfach gepiercten Ohren.
Sie ist hübsch anzusehen.
Sie bringt die Menschen zum Lächeln.
Die Glocken von St. Mary’s sagen ihr, dass es ein Uhr mittags ist, obwohl sie ihre Hilfe nicht benötigt. Sie ist immer schon hier, wenn das Stundenläuten einsetzt. Sie hat Angst, ein Gewohnheitstier zu werden.
Suzie fragt sich, warum nicht mehr Leute da sind. Das hier ist ein schöner Ort, und sie ist jeden Tag aufs Neue überrascht, ihn ganz für sich allein zu haben. Von der Arbeit braucht sie nur fünf Minuten, einen Steinwurf weit vom Trubel der Altstadt entfernt, aber in den drei Monaten, seitdem sie hier ihr Lunchpaket verzehrt, musste sie den entzückenden kleinen Innenhof mit seinem Garten fast nie mit jemandem teilen.
Es ist der einzige grüne Flecken im ganzen Museumsviertel; versteckt zwischen einer Gruppe prächtiger alter Gebäude und Kopfsteinpflasterstraßen, die vor zwei Jahrhunderten im Dreieck zwischen den Flüssen Hull und Humber entstanden sind. Hier, zwischen Wilberforce House und dem Streetlife Museum, hat sie so etwas wie eine Oase der Zuflucht gefunden. Geschützt von roten Backsteinen und Bogengängen, fühlt sie sich herrlich unsichtbar, verborgen hinter den überhängenden Ästen eines Baumes, den sie inzwischen als ihr Eigentum betrachtet.
Der Regen wird stärker. Die größeren Tropfen klingen irgendwie gemütlich im burgunderroten Laub des Baumes. Sie erblickt ein Blatt, das sich unter der Last der angesammelten Tröpfchen biegt, und streckt das linke Bein aus, damit das kalte Wasser, wenn es überläuft, auf ihre bloßen Zehen abfließen kann. Es ist ein anregendes Gefühl, als es endlich so weit ist.
Suzie zieht das iPhone aus der Seitentasche ihres Beutels. Es war ein extravaganter Einkauf, der sie gezwungen hat, einen Monat lang von Wurstbrötchen und Keksen aus dem Bürovorrat zu leben, da sie ihr ganzes Lebensmittelbudget für die Anschaffung verprasst hatte.
Sie loggt sich bei Facebook ein. Zwei alte Schulfreundinnen haben sie angestupst, und ihre Mum hat ein neues Posting.
Eine regennasse Singdrossel flattert auf das nächste Blumenbeet herunter. Suzie sieht sich auf der Bank nach einem übriggebliebenen Krümel um. Schließlich entdeckt sie einen in ihrem Schal und wirft ihn dem Vogel zu. Der ignoriert ihn und fliegt davon.
»Mit Marmite. Muss man ja nicht mögen …«, flüstert sie.
Sie öffnet ihren E-Mail-Account. Ignoriert die verschiedenen Websites, die ihr Rabattcodes für Musikdownloads und Gutscheine für Restaurantketten schicken. »Was haben wir denn da?« Zwei Nachrichten.
Sie muss lächeln. Ein Kitzel der Erregung flattert hinter ihrem Zwerchfell.
»Immer noch in Hochform …«
Er hat eine Nachricht am Morgen und die andere fünf Minuten vor ihrer Lunchpause geschickt. Will wissen, ob sie sich beim Aufwachen selbst gestreichelt hat, und informiert sie in einem Einzeiler, dass er beim Gedanken an sie »verdammt hart« geworden ist.
»Süß«, sagt Suzie und drückt auf »Antworten«.
Sie ist erst gestern Nacht mit »Dom« ins Gespräch gekommen: halbherzig zunächst, abgelenkt von einem Vampirfilm, den sie auf dem Laptop ansah, später mit lustvoller Intensität.
In seiner Beschreibung auf der Website kam er direkt zur Sache. »Dominanter Mann sucht Gespielin unter 30. Muss zu allem bereit sein. Bist du dabei? Übergib deinen Körper meiner Kontrolle. Sei mein Stoffpüppchen.« Er hatte ein kleines »x« für Kuss ans Ende des Postings gesetzt. Das hatte ihr gefallen.
»He du«, hatte sie geantwortet. »Habe deine Anzeige gesehen. Glaube, wir könnten Spaß miteinander haben. Bin 26 und sehe okay aus. Habe das Spiel schon gespielt. Liebe es, unterworfen zu werden und bis zum Limit zu gehen. Bin ich dein Typ Mädchen?«
Dom reagierte binnen einer Minute. Sagte, er »brenne darauf«, mehr zu hören. Dass er sich nach ihrem Geschmack »sehne«. Sich »danach verzehre, die Tränen von deinem Gesicht zu lecken«. Seine Worte hatten eine lyrische Qualität, die Suzie schätzte. Sie mochte Worte. Hatte ein Jahr lang englische Literatur studiert, bevor sie wegen des Jobs ihres Verlobten nach Hull gezogen war, und sie beschlossen, dass sein
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