Dein ist die Rache
Erdgeschoss. Sie ist rot gestrichen, mit Wandlampen aus Messing. Künstlerisch ausgeführte Silhouetten nackter Frauen sind strategisch im Raum verteilt. Der Boden besteht aus schwarzem Lack, und die Nischen und Barhocker sind mit imitiertem Knautschsamt gepolstert, der, wie Harry nur allzu gut weiß, sich nicht hundertprozentig reinigen lässt.
Mit schnellen, geübten Schritten geht er blind zum Tresen und schaltet die Beleuchtung ein. Es dauert einen Moment, bevor die Lampen anspringen, und das Licht flackert, ehe der Raum vollständig erhellt ist.
Harry weiß sofort, dass etwas nicht stimmt. Der Computer hinter der Bar rattert. Es ist ein altes Gerät, und der Lüfter ist so staubverkrustet, dass er ein Geräusch von sich gibt wie ein Hubschrauber in Not. Im Augenblick läuft er. Der Monitor mag ausgeschaltet sein, aber ein grünes, blinkendes Licht unterhalb der Bar verrät, dass der Computer benutzt wurde.
Harry schaltet den Monitor wieder ein. Bewegt die Maus. Macht große Augen, als die Datenbank mit den Namen und Adressen der Mitglieder auf der Mattscheibe auftaucht.
»Arschgesichtige Flachwichser.« Er sagt es leise, resigniert, denn er weiß schon jetzt, dass sein Tag im Eimer ist. Es gab natürlich schon früher Einbrüche. Einmal war ein kompletter Wochenvorrat an Schnaps aus dem Lagerraum verschwunden gewesen, als er bei der Arbeit auftauchte, und der schicke Überwurf im Leopardenlook vom runden Bett im Salon hatte auch nur eine Woche überdauert, bevor er seinen Weg in eine großformatige Handtasche fand. Zum ersten Mal ist der Computer das Ziel. Er glaubt kaum, dass ein Eindringling das Gerät selbst der Mühe für wert gehalten hätte, aber auf der Festplatte befindet sich dies und jenes, von dem er jetzt, im Rückblick, plötzlich ganz klar weiß, dass er es besser hätte schützen sollen.
»Scheiße.«
Die Schlichtheit seiner Feststellung überrascht ihn selbst. Er zieht sich einen Hocker heran und beginnt, auf die Tastatur einzuhacken. Er würde sich nicht als Computerexperten bezeichnen, aber er weiß, wie man eine Datenbank aufbaut und nach Pornos surft. Und versteht sich auch darauf, das Material aus der Überwachungskamera im Swingerraum in seine eigenen, persönlichen Dateien zu übertragen.
Harry schiebt sich weg von der Tastatur, holt ein Null-dreier-Glas unter der Bar hervor und hält es unter den Spender der Wodkaflasche, füllt sich einen herzhaften Doppelten ab. Dann öffnet er den Bierkühlschrank und nimmt eine Flasche Holsten heraus. Trinkt einen Schluck von dem Wodka und verdünnt dann das Brennen mit dem Lager. Noch ist er nicht ernsthaft besorgt, aber seine Gedanken überschlagen sich. Er fragt sich, ob man ihn verantwortlich machen wird. Wie die wohl hereingekommen sind. Und wie wieder hinaus …
Harry wird plötzlich klar, dass er den Rest des Gebäudes noch gar nicht kontrolliert hat. Hier unten gibt es noch eine weitere Bar mit Tanzfläche, Edelstahlstange und einem großen Flachbildschirm, wo sie Pornos zeigen, damit die Kunden in Stimmung kommen. Oben sind fünf Schlafzimmer mit verschließbaren Türen und drei weitere, die konsequent eine Politik der offenen Tür pflegen.
Früher hat Harry in einem ganz klassischen Pub gearbeitet, wo immer ein Cricketschläger unter dem Tresen lag. Er wünschte jetzt, hier gäbe es auch einen. Aber in den zwei Jahren, in denen er diese Absteige mittlerweile führt, gab es nie irgendwelche Schwierigkeiten. Die Mitglieder sind freundlich und wollen alle das Gleiche. Sie kennen die Regeln und beachten sie. Sie akzeptieren ein Nein und gehen, wenn sie dazu aufgefordert werden.
Harry arbeitet gerne hier. Mit den zwei Studenten an der Bar und einem Rausschmeißer, der Freitag- und Samstagnacht für je drei Stunden an der Tür steht, läuft alles wie geschmiert. Bei der letzten Zählung hatten sie über tausend Mitglieder, und am Freitag kommen oft mehr als fünfzig Stammgäste, die den normalen Kneipen und Clubs einmal den Rücken kehren wollen, um sein zu dürfen, wer sie sein wollen, in der Gesellschaft von Menschen, die sie nicht verurteilen und sich freuen über Gleichgesinnte.
Harrys Verstand rattert mit derselben mühsamen Schwerfälligkeit vor sich hin wie der Computerventilator. Er versucht zu begreifen, wer hier einbrechen sollte und was er im Computer sucht. Er hatte in den vergangenen Jahren reichlich Zeit, die Klientel kennenzulernen, während er mit einem Becher Kaffee am Ende der Bar herumhing und den Jungs und Mädels
Weitere Kostenlose Bücher