Dein ist mein ganzes Herz
zweiundzwanzig", berichtete der Marquess, vernünftig und praktisch. Sie ist weder in Ohnmacht gefallen, noch hat sie eine Szene gemacht. Anstatt mir an die Brust zu sinken und zu danken, daß ich sie vor Tremlow und seinen Kumpanen gerettet habe, hat sie mir so ungefähr zu verstehen gegeben, ich könne mich zum Teufel scheren. Mit anderen Worten bezweifle ich, daß Miss Darent Gefahr läuft, dem verhängnisvollen Charme des Marquess of Hazelmere zu erliegen."
"Ich verstehe", erwiderte Fanshawe, der nicht das mindeste verstand. Ein Klopfen an der Tür kündigte die Ankunft von einigen Freanden an,die nach dem Boxkampf aufgehalten worden waren. Gleich darauf drehte sich die Unterhaltung um sportliche Themen.
3. KAPITEL
Am nächsten Morgen verließ die Gesellschaft aus Grange ohne weiteren Zwischenfall das "Three Feathers Inn". Es war ein kühler Tag, doch das Tauwetter hatte eingesetzt, und die Straßen wurden besser, je mehr sie sich der Stadt näherten. Dorothea war deprimiert. Als sie am Abend zuvor ins Schlafzimmer zurückgekehrt war, hatten Cecily und Betsy sie mit Fragen bestürmt. Sie hatte das Verhör über sich ergehen lassen, da sie aus Erfahrung wußte, daß Schweigen eine derartige Inquisition am wirkungsvollsten beendete. Diesmal hatte diese Taktik nichts genützt, und schließlich hatte sie die Beherrschung verloren.
"Hört auf, alle beide", rief sie. ,.Wenn ihr es denn wissen müßt - ich habe auf dem Hof einen unverschämten Mann getroffen und bin sehr wütend." Cecily war verärgert, weil sie über den Zwischenfall nichts Genaueres erfahren konnte. In einem bedauerlichen Anfall von Aufrichtigkeit hatte Dorothea ihr im August von ihrer Begegnung mit Lord Hazelmere erzählt. Die Reaktion ihrer Schwester hatte sie gelehrt, diesmal den Namen des betreffenden Gentleman zu verschweigen.
Dorothea hatte keinen Appetit, doch das zuzugeben, hätte erneut eine Diskussion nach sich gezogen. Sie zwang sich daher ein paar Bissen von der Taubenpastete zu essen. Angesichts des genossenen Brandys verzichtete sie auf Wein. Nach Ende des Mahles ging sie zu Bett und Cecily folgte ohne Kommentar ihrem Beispiel.
Dorothea fand bis zum Morgengrauen, als der Lärm im Gasthaus endlich verstummte, keinen Schlaf. Sie hatte daher genügend Zeit, um über ihr zweites Zusammentreffen mit dem Marquess of Hazelmere nachzudenken. Seine arrogante Überzeugung, sie würde ihm gehorchen, ärgerte sie maßlos. Sie versuchte die Erkenntnis zu verdrängen, daß er trotz allem eine seltsame Anziehungskraft auf sie ausübte. Nichts wünschte sie sich weniger, als für diesen schrecklichen Mann Gefiihle. zu entwickeln. Aller Wahrscheinlichkeit nach würde er in dieser Nacht irgendwo im Gasthaus die Gunst eines leichten Mädchens genießen. Der Gedanke gefiel ihr kein bißchen. Als sie schließlich einschlief, verfolgte sie im Traum ein Paar nußbrauner Augen.
Zum Lunch machten sie in einem hübschen, kleinen Gasthaus am Ufer der Themse Halt. Während der Weiterfahrt malte Dorothea sich die Begegnung mit ihrer Großmutter aus. Sie überlegte, wie sie dasThema Hazelmere und seinen angekündigten Besuch zur Sprache bringen sollte. Erst das Rumpeln der Kutschenräder auf den gepflasterten Straßen riß sie aus ihren Grübeleien. Das geschäftige Leben und Treiben faszinierte sie. Erst als die Kutsche in das Viertel einbog, in dem die reicheren Bürger wohnten, ließen sie den Trubel hinter sich.
Vor einem imposanten Gebäude hielt die Kutsche an. Ein würdiger Butler half den Schwestern beim Aussteigen. Nachdem sie in der Halle die Mäntel abgelegt hatten, führte er sie in den Salon, wo ihre Großmutter sie erwartete. Lady Merion, die in eine Wolke aus Gaze und Parfum gehüllt war, umarmte ihre beiden Enkelinnen. Ihre blonde Perücke war perfekt frisiert. Die Nase mit den scharfen blauen Augen, das geraden Gesicht und den stets lächelnden Lippen, zeigte noch deutlich die Spuren einstiger Schönheit.
"Meine Lieben, ich freue mich, daß ihr sicher angekommen seid", rief sie.
"Mein Küchenchef Henri hat einen kleinen lmbiß heraufgeschickt, damit ihr euch nach der langen Fahrt stärken könnt."
Als sie am Kamin saßen, stellte Lady Merion fest, daß keine der Schwestern besonders frisch und munter wirkte. "Wir werden einen ruhigen Abend verleben", versprach sie. "Ihr müßt gleich nach dem Dinner zu Bett gehen. Für morgen vormittag habe ich unseren Besuch in einem der elegantesten Modesalons von London
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