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oder in den Händen gehalten werden oder ein Schauspieler, der etwas falsch gemacht zu haben glaubt, aus der Rolle steigt, sich kommentiert oder den Regisseur fragt und zurückkehrt in den Text. Genau gesagt konnte der Schauspieler nicht aussteigen, weil er nicht in der Rolle war. Das wäre die Aufgabe, im Theater wie im Roman, den ich schreibe: was in der Probe, auf dem Zettel notwendig flüchtig ist, zu konservieren, freilich als Flüchtiges. Der entscheidende Vorgang ist nicht gewesen, daà die Schauspielerin schrie, sie spiele die Rolle auch nicht gern. Entscheidend war, daà sie zurück auf die Bühne kletterte, um weiterzuspielen. Jean Pauls Romane sind der permanente Verfremdungseffekt. Wie im epischen Theater, gleichwohl ohne Didaktik, kommentiert der Romanschreiber das eigene Romanschreiben und stellt es somit in seiner Romanhaftigkeit heraus. Fortlaufend weist Jean Paul auf besonders schwierige Passagen hin, die er dann innerhalb der Handlung um einen Tag verschiebt, um als Romanschreiber selbst ausgeruhter zu sein, rechtfertigt sich für seine Exkurse, redet seine Figuren an, entschuldigt sich bei den Rezensenten für Stellen, die ihm miÃraten seien, lobt sich für ausgefallene Metaphern, erklärt, was in Romanen jetzt gewöhnlich geschehen würde und warum er abweicht, oder annonciert das Stadium, in dem sich die Handlung befindet. Er bietet anderen Romanschreibern seine Charaktere sogar zum Verkauf an. Kürzestkapitel erklärt er mit Schreibblockaden wegen physischer UnpäÃlichkeit: »Erst jetzt ists toll: die Krankheit hat mir zugleich die juristische und die biographische Feder aus der Hand gezogen, und ich kann trotz aller Ostermessen und Fatalien in nichts eintunken«, und wie er sie zu überwinden versucht: »Indessen will ich, solangâ ich noch nicht eingesargt bin, dem Publikum alle Sonntage schreiben und es etwa zu zwei oder drei Zeilen treiben «, ist dabei Jean Paul genug, um sich über die Holprigkeiten aufzuregen, die ihm unterlaufen: »Auch der Stil wird jämmerlich; hier wollen sich die Verba reimen â¦Â« Den Anweisungen eines Inspizienten gleich, die ins Parkett übertragen werden, stehen vor den Einschüben nicht nur Titel, sondern wird auch deren Ende durchgerufen: »Extrazeilen ⦠Ende der Extrazeilen«. »Das Wort über die Puppen ⦠Ende des Worts über die Puppen«. Indem seine Bücher ständig mitbedenken, wie sie hergestellt sind, deren Kunstcharakter vorführen, negieren sie diesen: der Roman als Mimesis der Wirklichkeit. Nicht nur literarisiert Jean Paul seine Notizen in ihrer Disparität gerade so weit, daà sie sich formal zu einer Handlung fügen; er macht sich selbst zur Figur innerhalb dieser Handlung, namentlich als Jean Paul, mal in der ersten, mal in der dritten Person. In der Unsichtbaren Loge etwa ist der Romanschreiber, der sich Jean Paul nennt, der Lehrer des Helden. »Man muà nicht denken, daà ich Informator geworden, um Lebensbeschreiber zu werden, d.h. um pfiffigerweise in meinen Gustav alles hineinzuerziehen, was ich aus ihm wieder ins Buch herauszuschreiben trachtete; denn ich brauchte es erstlich ja nur wie ein Romanen-Manufakturist mir bloà zu ersinnen und andern vorzulügen; aber zweitens wurde damals an eine Lebensbeschreibung gar nicht gedacht.« Die Ebenen einmal auseinandergelegt: Jean Paul erfindet die Begründung, daà er alles erfinden könnte, weil es ein Roman ist, aber nicht erfinden muÃ, weil er es selbst erlebt hat, ohne damals schon an einen Roman zu denken. Das sind noch einmal ein paar Winkel der literarischen Postmoderne mehr als in jedem Roman von heute: »Bei meiner Seele! so etwas sollte man drucken lassenâ¹Â«, ruft einmal jemand in der Unsichtbaren Loge , der Rittmeister des heranwachsenden Gustav. »Und wahrhaftig, hier lässet man es ja drucken«, fügt der Romanschreiber hinzu, den Jean Paul Jean Paul nennt. Wie jenes zeitgenössische Theater, das seinen Kunstcharakter durch Realelemente zerstören und eben dadurch retten will, tariert auch die avancierte Literatur von heute notwendig die Grenzen zwischen Roman und Wirklichkeit stets aufs neue aus, ohne sich mit der sogenannten Realität gleichzustellen, etwa in John Coetzees Romanen, in denen der Protagonist ein berühmter Schriftsteller mit den Initialen J.C . ist oder gleich als John Coetzee auftritt. Ein Selbstporträt? In der
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