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beschreibâ es aber doch. Haben denn solche Autoren so wenig Rechtschaffenheit, daà sie bei einer Szene, nach der die Leser schon im voraus geblättert haben, z.B. bei einem Todesfall, auf den alle, Eltern und Kinder, lauern wie auf einen Lehnfall oder Hängtag, vom Sessel aufspringen und sagen: das macht selber? Es ist so, als wenn die Schikanedrische Truppe vor den verzerrendsten Auftritten des Lears an die Theater-Küste ginge und das Publikum ersuchte, es möchte sich Lears Gesicht nur denken, sie ihres Orts könnte es unmöglich nachmachen. â Wahrhaftig was der Leser denken kann, das kann ja der Autor â beim vollen Puls aller seiner Kräfte â sich noch leichter denken und es mithin schildern; auch wird des Lesers Phantasie, in deren Speichen einmal die vorhergehenden Auftritte eingegriffen und die sie in Bewegung gesetzt, leicht in die stärkste durch jede Beschreibung des letzten Auftritts hineinzureiÃen sein â auÃer durch die jämmerliche nicht, daà er nicht zu beschreiben sei. / Von mir hingegen sei man versichert, ich mache mich an alles. Ich redete es daher schon auf der Ostermesse mit meinem Verleger ab, er sollte sich um einige Pfund Gedankenstriche, um ein Pfund Frage- und Ausrufungszeichen mehr umtun, damit die heftigsten Szenen zu setzen wären, weil ich dabei um meinen apoplektischen Kopf mich so viel wie nichts bekümmern würde.« Auf der Bühne beginnt man nicht als Mensch, sondern wird es. Als Regisseur beharrte der Leser stets auf dem Bilderverbot, das im Theater das Verbot des Scheins ist. Niemals sollten die Schauspieler so tun, als seien sie mit der Rolle identisch, deshalb der Konjunktiv wie in Hagiographien oder die Verfremdung wie vor dem epischen Theater bereits jahrhundertelang im Passionsspiel, in denen die Darsteller selbst dann ein Textblatt in der Hand hielten, wenn sie den Text auswendig beherrschten; die Schauspieler sollten sich beobachten, Fehler kommentieren, nicht kaschieren, und stets mitspielen, wieviel Aufführungen vorangegangen waren, ob durch die offenen Fenster, vor denen die Bühne stand, Tageslicht in den Raum dringt, selbst das Wetter. Es gab keinen Grund, Freunde oder die eigenen Eltern, Kritiker oder Intendanten anderer Theater nicht zu begrüÃen. Zur Sprache gebracht oder nicht, wirkte es sich aus, wenn eine Schauspielerin ihre Tage hatte oder ein Zuschauer aus einem Meter Entfernung einen Schauspieler anglotzte, der so deutlich eine Vergewaltigung anzeigte, daà andere Zuschauer einschreiten wollten, obwohl sie genau sahen, daà nichts an der Szene echt war. Deshalb dürfen die Rezitatoren des Korans niemals versuchen, einen Vortrag zu wiederholen, so herrlich eine Improvisation gelingt. Das ist ein ausdrückliches Verbot, festgehalten in den tausend Jahre alten Regeln des tadjwîd , der Kunst des Koranvortrags. Daà eine Schauspielerin bei der Premiere schrie: Ich spiel das auch nicht gern, und in den Zuschauerraum flüchtete, ist nicht wiederholbar. Die Schauspielerin selbst wuÃte, daà sie es nicht wiederholen dürfte, jedenfalls nicht dies, so ergreifend gerade diese Szene. Erst in der Wiederholung wäre es zum Theater geworden. So war es ein Wunder, wie man vielleicht das koranische Wunder verstehen muÃ, den iâdjâz , die Lehre von der Unnachahmlichkeit, Unübertrefflichkeit und damit auch Unübersetzbarkeit des Korans: daà es vergänglich ist. »Unfähigmachen« heiÃt iâdjâz wörtlich, von âadjz , »Unvermögen, Unfähigkeit«. Vielleicht meint das den übermächtigen, von allen Anwesenden geteilten Eindruck, daà in einem Moment auf einmal alles ist, das einzig Mögliche. Von selbst erübrigt sich augenblicklich jeder Gedanke, ob man es anders hätte formulieren, rezitieren, spielen, komponieren, malen, schreiben können. Auf andere Weise ginge es im Theater darum, die Wahrheit dort zu suchen, wo sie durch die Künstlichkeit bestritten wird, im konkreten Fall darzustellen, daà man darstellt, aber nicht wie Brecht als Teil der Inszenierung, so daà man einen Schauspieler sieht, der einen Schauspieler spielt, der eine Rolle spielt, sondern in der Ehrlichkeit und Lüge, mit der Schauspieler zum Applaus auftreten, wenn sie sich selbst darstellen. Ja, beim Applaus fand der Leser, was er meinte, und mehr noch in den Proben, in den ersten Proben vor allem, wenn die Textblätter noch umherfliegen
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