Dein Name
Ursulas, die viel gröÃer und kräftiger sind, als es dem übrigen Körper entspricht, ja, vor allem die Hände Ursulas, die nehmen mich gefangen. Sie sind nicht harmlos, das sieht man, diese Hände packen an, und sie wissen, wo und wie kräftig. Und ähnlich sind die Hände des Engels nicht ohne Gefühle noch ohne Geschichte. Es sind Hände, die vieles getan haben und in den seltensten Fällen gern. So muà man von dem Maler der Ursula-Legende annehmen, daà er mehr von Ursula wuÃte, als er auf seinem Bild verriet, mehr auch vom Wesen der Engel, die gefühllos hoffentlich nur tun. Vielleicht war es nicht die Schicklichkeit, die den Maler Ursula so malen lieÃ, wie man die Frömmigkeit der Frauen wohl zu malen pflegte, ihren Blick, der demütig zur Seite geht, ihre Stirn eines Säuglings, als verstünde der Maler Unberührtheit im Wortsinn. Vielleicht war es das BewuÃtsein, daà weder die Schönheit Ursulas sich darstellen lieà noch ihre oder die Empfindungen des Engels, wenn er ihr die Zukunft eröffnet. Dann wären die Empfindungen eben deshalb erfragbar, weil die Gesichter uns (vielleicht wirkte das Bild in seiner Zeit anders), oder jedenfalls mir (bestimmt sehen meine Augen nicht genug), alle Empfindung verbergen. Von Ursula zeigt der Maler, was ihre Zeit, wir oder jedenfalls ich, für den Ursula eine Geigenspielerin ist mit fremden Regeln des Anstands und komischen Hosen, an ihr nie begreifen.
Kurz gesagt möchte der Mann, um Navid Kermani am Samstag, dem 17. Juni 2006, einmal so zu nennen, wenn ich nicht immer vom Romanschreiber sprechen will, kurz gesagt möchte der Mann um 22:08 Uhr, da er wegen des Ausscheidens Irans bei der Weltmeisterschaft ein paar Grade zusätzlich geknickt ist, mit seiner Ehe aufhören. Es ist nicht das erste Mal, daà er den Wunsch spürt; neu aber ist der Eindruck, es sei auch für die Tochter besser, wenn das Schweigen ihrer Eltern nie wieder mit dem Streit erklärt wird, den sie doch auch ab und zu mit dieser oder jenen Klassenkameradin habe, und daà sie dann doch auch besser ein, zwei Tage nicht mit der Klassenkameradin spiele. Was diese Mitteilung für den Roman bedeutet, den ich schreibe, ergibt sich aus dem vorletzten Absatz: Entweder streicht der Mann diesen Absatz, oder er trennt sich tatsächlich, oder die Frau darf den Roman nie lesen, den ich schreibe, jedenfalls nicht die nächsten Jahre (ach Gott, wie glücklich müÃten sie miteinander werden, damit sie seinen jetzigen Zweifel aushält). Gleichwie, er muà endlich beginnen.
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István Eörsi (16. Juni 1931 Budapest; 13. Oktober 2005 ebendort) ( Bildnachweis )
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Auf István Eörsi bin ich durch sein Buch über Hiob und Heine gestoÃen, früh in der Recherche über die metaphysische Revolte. Kurz überlegte ich, ob sein Buch meines überflüssig gemacht habe. Bis heute gehalten hat sich die Ãberraschung, daà jemand anders, ein unbekannter Ungar an abgelegenem Ort und in kuriosem rosa Einband, bereits aufgeschrieben hatte, was mir auf der Seele brannte. Die Fahnenhissung der persönlichen Not in überlieferten Texten, die zur Hermeneutik des Schriftstellers gehört, hat er weiter geführt als ich. Seine Beschreibung des todkranken Heine ist so furios, daà ich sie nur abkupfern konnte, sein Hiob ein Argument, daà Atheisten die besseren Theologen sind. Meine Frage zieht sich durch sein Buch, warum er sich überhaupt mit Gott beschäftigt: »Schreibe ich über Hiob, um zu erfahren, warum ich über ihn schreibe?«
In unserer Bekanntschaft, die von Anfang an alle Anlagen zu einer Freundschaft aufwies, ohne daà sich genügend Gelegenheiten ergeben sollten, sie zu schlieÃen, machte sich mehr und mehr bemerkbar, daà wir das Feld der Gottverlassenheit aus verschiedenen Richtungen betreten hatten, er aus der Gottlosigkeit, die ihm nicht genügte, ich aus dem Glauben, der mir nicht gelang. Einmal angekommen, verstanden wir uns sofort. Viel Verkehr herrschte dort ohnehin nicht; allein der Umstand, auf jemanden zu stoÃen, der sich ebenfalls in die Einöde verirrt hat, zu der Religion unter europäischen Literaten geworden ist, schweiÃt schon zusammen. AuÃerdem konnten wir vom ersten Tag an miteinander lachen, obwohl oder weil wir mit dem Symposion am Berliner Wissenschaftskolleg, zu dem ich ihn eingeladen hatte, sofort bei unserem Thema waren:
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