Dein Name
dem Schrecken Gottes. Die vielen Schnäpse, die wir miteinander tranken, hielt ich im nachhinein immer für ungarisch, obwohl sie es nicht gewesen sein können. Ungarisch war vielleicht nur die Art, sie zu zelebrieren.
Wieviel uns andererseits trennte, behaupteten die Lebensläufe lange Zeit nur und sah ich ein, als wir in der Volksbühne Frank Castorfs Inszenierung von Der Meister und Margarita besuchten. Nichts von dem, was ich sah, hatte er gesehen, nichts von dem, was ich für verbindend hielt. Für ihn bestand die Inszenierung aus Klamauk, Schmutz und Geschrei. Mich hingegen durchfuhr der nackte Jesus in der Badewanne, der per Videoleinwand von der Hinterbühne übertragen wurde, wie eine Offenbarung: So, nur so könne man heute über das Heilige sprechen. Es war ebenjene todernste Lächerlichkeit, mit der allein von Wahrheit zu künden wäre, das Gegenteil von Blasphemie.
Wir weiteten die Kontroverse nicht aus. Er war entschieden in seiner Empörung. Ich leugnete nicht meinen Standpunkt, sah aber davon ab, ihn zu verfechten. Nicht nur aus Respekt begrenzte ich den Schaden so rasch, nicht nur aus Furcht vor einer Auseinandersetzung, die schlimmstenfalls den Keim eines Zerwürfnisses hinterlassen konnte, da es uns beiden ernst mit unseren Sichtweisen war. Noch während wir uns über die Aufführung stritten, machte ich eine merkwürdige Entdeckung: Ich verstand ihn. Ohne damals schon István Eörsis Biographie zu kennen, nicht viel mehr, als daà er 1931 als Jude in Europa geboren, 1956 als Ungar verhaftet worden war und was sonst noch auf dem Buchdeckel steht, spürte ich, daà die Aufführung einem Menschen mit seiner Widerstandsgeschichte klein vorkommen konnte, unwahrhaftig; ich spürte, daà er ihr womöglich zu Recht absprach, die Weltanschauung und das Weltdesaster erfaÃt zu haben, die Der Meister und Margerita behandelt. Das änderte nichts an meinem eigenen Urteil oder nur soviel, daà ich bereit war, es zu relativieren. Der Abend wollte nicht die Zustände auf die Bühne bringen, die Bulgakow meinte und Eörsi kannte. Trotz Castorf und Ostberlin war es ein Abend, der aus dem Verlangen entstand, daà es andere als die gegenwärtigen Zustände geben könne. Es war ein Abend über den Glauben, der zum Wunsch geworden ist. Das war mein Zugang zu dem Feld, nicht Eörsis. Es hätte aufregend werden können für mich, vielleicht auch für ihn, wie es weitergegangen wäre mit unserer Begegnung nach der Erkenntnis, daà wir uns gleichzeitig nahe- und fernstanden.
Zwei-, dreimal trafen wir uns noch am Wissenschaftskolleg, wohin ich ihn zu allen Empfängen einlud, ohne daà sich Gelegenheit bot, unser eigenes Gespräch fortzuführen. Statt dessen unterhielten wir uns häufig über Politik, wie man es bei Geselligkeiten und auf Empfängen tut, wenn man weder über eigene Bedrängnisse noch über Belanglosigkeiten reden möchte. Zu Kontroversen kam es leider nicht mehr. Sein Urteile waren von einer Aufrichtigkeit und moralischen Schlüssigkeit, die trotz der Genauigkeit und Schärfe gelegentlich langweilig geworden wären, wenn er nicht immer wieder die Kritik an sich selbst, an früheren Positionen eingeworfen hätte, die die Möglichkeit signalisierte, auch die jetzigen Analysen zu revidieren. Er war jemand, der sich streng an seine Prinzipien hielt im BewuÃtsein, daà sie sich als falsch erweisen konnten. In seinen Band über den Rätselhaften Charme der Freiheit , in den er mir die Widmung schrieb, daà auch das Neinsagen schön sein könne, läÃt sich das stete Bemühen gut beobachten, Haltung zu bewahren, ohne die eigene Unsicherheit zu kaschieren. Seine Essays über den Aufstand in Ungarn, nach dessen Niederschlagung er noch Jahre im Gefängnis saÃ, sind geradezu klinisch gereinigt von Eitelkeit. In keinem einzigen fehlt das Geständnis, in jüngeren Jahren selbst Stalin angehimmelt zu haben. Aber auch sein Aufschrei nach Srebrenica erweist die Kurzsicht speziell deutscher GroÃdichter, deren Werk er in anderen Zusammenhängen dennoch preisen kann. Ungeachtet seiner jüdischen Herkunft war er leidenschaftlich in seiner Kritik an der israelischen Besatzung. So nahm er auch an dem Treffen der Dichter Adonis, Mahmud Darwisch und Abbas Beydoun teil, die unter anderem das arabische Verhältnis zu Erbe und Gegenwart der Juden im Nahen Osten
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