Dein Wille geschehe - Dein Wille geschehe - Shatter
ihn angewiesen, den Anruf zurückzuverfolgen. Er trägt die gleiche weite Hose und Fliege, die er schon gestern anhatte, dazu hat er einen wärmenden Schal um den Hals. Plötzlich bleibt er mitten im Einsatzraum stehen und klopft stirnrunzelnd seine Taschen ab, als hätte er auf dem Weg nach oben etwas verloren.
»Gestern hatte ich noch ein Büro. Ich muss es verlegt haben.«
»Am Ende des Ganges«, antwortet Veronica Cray. »Sie haben einen neuen Partner. Lassen Sie sich nicht von ihm herumkommandieren.«
Lieutenant William Greene sitzt bereits hinter den Glasscheiben eines kleinen Kabäuschens direkt neben der Funkzentrale.
»Ich kann nicht besonders gut mit anderen Menschen zusammenarbeiten«, sagt Oliver verdrossen.
»Klar können Sie das. Wenn Sie höflich fragen, lässt der Lieutenant Sie bestimmt mit seinen Militärsatelliten spielen.«
Oliver richtet sich gerade auf und rückt seine Brille zurecht, bevor er den Gang hinuntergeht.
Ich möchte mit Veronica Cray reden, bevor Julianne kommt. Sie schließt ihre Bürotür, nippt an ihrem Kaffee und verzieht das Gesicht, als hätte sie Zahnschmerzen. Über den Docks in der Ferne kreisen Möwen, und ein dünner Lichtstreifen öffnet den Horizont. Helen und Chloe Chambers leben, berichte ich ihr. Sie sind zu Hause.
Die Information rauscht scheinbar wirkungslos an DI Cray vorbei. Sie schüttet zwei Tütchen Zucker in ihren Kaffee, zögert und gibt noch ein drittes hinzu. Dann nimmt sie den dampfenden Becher und sieht mich über den Rand hinweg mit festem Blick an.
»Und was soll ich jetzt machen? Ich kann sie schlecht festnehmen.«
»Sie haben ihren eigenen Tod vorgetäuscht.«
»Im Moment ist mir mehr daran gelegen, Ihre Tochter zu finden, Professor. Ein Fall nach dem anderen.«
»Es ist derselbe Fall. Deswegen macht Tyler das alles. Wir können Helen und Chloe als Verhandlungsmasse benutzen.«
»Wir tauschen bestimmt nicht Ihre gegen seine Tochter aus.«
»Das weiß ich, aber wir können sie benutzen, um ihn aus seinem Versteck zu locken.«
Sie zündet sich eine Zigarette an. »Machen Sie sich Sorgen um Ihre eigene Tochter, Professor. Sie wird seit gestern Mittag vermisst.« Rauch steigt kräuselnd von ihrer Hand auf. »Ich kann Helen Chambers nicht zur Zusammenarbeit mit uns zwingen, aber ich schicke jemanden vorbei, der mit ihr redet.«
Sie reißt ihre Bürotür auf. »Lagebesprechung um sieben Uhr«, dröhnt ihre Stimme quer durch den Einsatzraum. »Ich will Antworten, Leute.«
Bald wird Julianne hier sein. Was soll ich ihr sagen? Die einzigen Worte, die sie hören will, müssten aus Charlies Mund kommen, geflüstert in ihr Ohr, während sie sie in den Armen hält.
Ich finde ein leeres Büro und setze mich im Dunkeln auf einen
Stuhl. Die Sonne geht langsam auf und träufelt Farbtropfen in das Wasser der Welt. Bis vor ein paar Tagen hatte ich noch nie von Gideon Tyler gehört, aber jetzt kommt es mir vor, als hätte er mich schon seit Jahren beobachtet, hätte in der Dunkelheit gestanden und mit von Blut tropfenden Händen auf meine schlafende Familie herabgeblickt.
Er ist körperlich nicht imposant, kein Bodybuilder oder Kraftprotz. Gideons Stärke liegt vielmehr in seinem Intellekt, in seiner Planung und seiner Bereitschaft zu tun, was andere nicht begreifen.
Er ist ein Beobachter, der Charaktereigenschaften katalogisiert; ein Sammler von Indizien, die ihm etwas über die Menschen verraten. Die Art, wie sie reden, stehen und gehen. Welche Kleidung tragen sie? Welchen Wagen fahren sie? Stellen sie im Gespräch Augenkontakt her? Sind sie offen, vertrauensvoll, kokett oder eher verschlossen und introvertiert? Ich tue das auch - ich beobachte Menschen, aber bei Tyler ist es das Vorspiel für Unheil.
Er lauert auf jedes Zeichen von Schwäche. Er erkennt ein erlahmendes Herz, kann innere Stärke von einer Scharade unterscheiden und findet die Verwerfungslinien einer Psyche. Darin sind er und ich nicht so verschieden, aber wir haben unterschiedliche Ziele. Er demontiert die Psyche. Ich versuche, sie zu reparieren.
Oliver und Lieutenant William Greene beugen sich in ihrem goldfischglasartigen Büro über Computer und gleichen Daten ab. Sie bilden ein seltsames Paar. Der Lieutenant erinnert mich an einen Spielzeugsoldaten zum Aufziehen mit steifem Gang und starrem Blick. Fehlt nur ein großer Schlüssel, der sich zwischen seinen Schulterblättern dreht.
Die ganze Wand wird von einer großen Karte eingenommen, die von farbigen Stecknadeln und
Weitere Kostenlose Bücher