Dein Wille geschehe - Dein Wille geschehe - Shatter
nicht meine Stimme oder mein Gesicht war.
Weißt du, Joe, es gibt einen Moment, in dem alle Hoffnung vergeht, aller Stolz schwindet, alle Erwartung, aller Glaube, alles Sehnen. Dieser Moment gehört mir. Dann höre ich den Klang.«
»Welchen Klang?«
»Den Klang einer zerbrechenden Seele. Es ist kein lautes Knacken wie von splitternden Knochen, wenn ein Rückgrat bricht oder ein Schädel birst. Auch nicht weich und feucht wie ein gebrochenes Herz. Es ist ein Klang, bei dem man sich fragt, wie viel Schmerz ein Mensch ertragen kann; ein Laut, der das Gedächtnis zerschmettert und die Vergangenheit in die Gegenwart einsickern lässt; ein Ton, so hoch, dass nur die Hunde der Hölle ihn hören können. Hörst du ihn?«
»Nein.«
»Jemand hat sich zu einer winzigen Kugel zusammengerollt und weint leise in eine endlose Nacht. Ist das nicht verdammt poetisch? Ich bin ein Dichter und weiß es nicht mal. Bist du noch da, Joe? Hörst du mir zu? Das werde ich mit Julianne machen. Und wenn ihre Seele zerbricht, zerbricht auch deine. Ich kriege zwei für den Preis von einem. Vielleicht rufe ich sie jetzt an.«
»Nein! Bitte. Rede mit mir.«
»Ich hab keine Lust mehr, mit dir zu reden.«
Er wird auflegen. Ich muss etwas sagen, um ihn aufzuhalten.
»Ich habe Helen und Chloe gefunden«, platze ich heraus.
Schweigen. Er wartet. Ich kann auch warten.
Er spricht als Erster. »Hast du mit ihnen geredet?«
»Ich weiß, dass sie leben.«
Eine weitere Pause.
»Du siehst deine Tochter, wenn ich meine sehe.«
»Das ist nicht so leicht.«
»Das ist es nie.«
Er ist weg. Das hohle Echo meines Atems hallt in dem leeren Zimmer wider, und ich sehe mein Abbild im Spiegel. Ich zittere am ganzen Körper und weiß nicht, ob es Parkinson, die Kälte oder etwas Elementareres, tiefer Sitzendes ist. Ich balle Charlies Schlafanzug in den Fäusten, wiege mich auf dem Bett vor und zurück und heule lautlos in die Nacht.
62
Der Lastenaufzug gleitet aus dem Kellergeschoss nach oben.
Es ist 5.10 Uhr, und der Flur ist verlassen. Ich zupfe am Ärmel meines Jacketts. Wann habe ich zum letzten Mal einen Anzug getragen? Das ist Monate her. Es muss bei meinem Besuch bei dem Militärgeistlichen gewesen sein, den meine Frau aufgesucht hatte. Er erklärte mir, ich könne alle Liebe der Welt mein Eigen nennen, ohne Vertrauen, Ehrlichkeit und Kommunikation würde es doch nicht funktionieren. Ich fragte ihn, ob er je verheiratet war. Er sagte Nein.
»Das heißt, Gott hat nicht geheiratet, Jesus hat nicht geheiratet, und Sie waren auch nie verheiratet?«
»Darum geht es nicht«, sagte er.
»Darum sollte es aber verdammt noch mal gehen«, erwiderte ich.
Er wollte mit mir diskutieren. Das ist das Problem mit Pfarrern, Priestern und anderen religiösen Wichsern. Jedes Mal kriegt man einen Vortrag über die Bedeutung von Ehe und Familie. Egal ob man Kunstrasen, die globale Erwärmung oder die Frage diskutiert, wer Prinzessin Diana ermordet hat, irgendwie kommen sie immer auf irgendeine bescheuerte Lektion über die Familie als Grundlage für Glückseligkeit, Toleranz unter den Rassen und Weltfrieden.
Ich biege in einen weiteren Gang, entdecke einen Notausgang und werfe einen Kontrollblick ins Treppenhaus. Leer. Am anderen Ende des Ganges befindet sich gegenüber dem Fahrstuhl eine kleine Lobby. An einem kleinen polierten Tisch mit einer Lampe stehen zwei Sessel. In einem sitzt mit übereinandergeschlagenen Beinen ein Detective und liest eine Zeitschrift.
Meine Finger schlüpfen in den Schlagring in meiner Hosentasche. Das Metall ist von meinem Körper vorgewärmt.
Als ich näher komme, blickt der Detective auf und setzt beide Füße auf den Boden. Seine rechte Hand ist außer Sichtweite.
»Lange Nacht.«
Er nickt.
»Ist sie fertig?«
»Man hat mir gesagt, ich soll sie nicht wecken.«
»Die Chefin will sie in der Zentrale.«
Er erkennt mich nicht. »Wer sind Sie?«
»Detective Sergeant Harris. Wir sind gestern zu viert aus Truro hochgekommen.«
»Wo ist Ihre Marke?«
Seine rechte Hand ist immer noch verdeckt. Ich stoße meine Faust in seinen Hals. Er sackt in sich zusammen und saugt durch seine zerschmetterte Luftröhre Blutblasen ein. Ich schiebe den Schlagring wieder in die Tasche, nehme seine Pistole und stopfe sie in meinen Hosenbund.
»Atmen Sie tief und langsam«, erkläre ich ihm. »Dann leben Sie länger.« Er kann nicht sprechen. Ich nehme das Funkgerät aus seiner Tasche. Er hat auch eine Schlüsselkarte für ihr Zimmer. Ein
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