Deine Seele in mir /
zugefügt wird? Szenen, von denen ich natürlich genau weiß, dass sie inszeniert, gespielt und unecht sind. Nicht real eben – und dennoch – ich ertrage es nicht!
In einer großen Tageszeitung habe ich einmal eine Frage gelesen, deren Antwort ich leider genau kenne:
Kann die Seele eines Menschen zerbrechen?
Ja, das kann sie – in nur wenigen Sekunden!
Unablässig blicke ich in das beruhigende Flackern des matten Lichtes. Irgendwann merke ich erleichtert, wie schwer meine Augenlider werden und dass die Müdigkeit ein weiteres Mal im Begriff ist, den Sieg gegen all meine Ängste einzustreichen.
Als ich am folgenden Morgen die schneebedeckte Straße zu dem Haus der Kents entlangfahre, kommt in mir die Frage auf, warum ausgerechnet Kristin und Tom sich entschieden haben, so abgeschottet und entlegen zu wohnen.
Julie beansprucht ständig ihre gewohnte Umgebung, wie ich gestern gelernt habe. Das bedeutet doch besonders für Kristin sowieso schon eine enorme Einschränkung ihrer Mobilität.
Ich weiß, dass sie bis vor ein paar Jahren am Rande einer kleinen Stadt im Nordosten des Landes gewohnt haben und sich aus freien Stücken für die Idylle, aber eben auch für die Einsamkeit dieses Landhäuschens entschieden.
Mit dem festen Vorhaben, die beiden bei Gelegenheit nach dem Grund für ihren Entschluss zu fragen, betätige ich die Türklingel.
»Guten Morgen, Matt«, begrüßt Kristin mich freundlich.
Sie wirkt ein wenig nervös, doch ihre natürliche Anmut bleibt davon unangetastet. Schnell streicht sie sich ihre dunklen Haare hinter die Ohren zurück und bittet mich mit derselben galanten Handbewegung herein, wie gestern.
»Guten Morgen, Kristin. Na, wie geht es dem Patienten?«, frage ich, während ich meinen Mantel ausziehe.
»Er hat auf der Couch geschlafen. Die Nacht wurde schwierig, als die Schmerzmittel nachließen. Ich habe ihm dann gegen halb vier eine neue Tablette gegeben, und jetzt geht es ihm recht gut.«
Nachdem ich Tom kurz begrüßt und mich auch bei ihm noch mal nach seinem Befinden erkundigt habe, steigen Kristin und ich die schmale Treppe zum Obergeschoss hoch.
Julie sitzt in ihrem Zimmer auf einem Teppich. Kristin hat sie bereits angezogen und ihre Haare zu einem dicken Zopf im Nacken geflochten.
Bei ihrem Anblick kann ich mir ein Schmunzeln nicht verkneifen.
Man merkt deutlich, dass ihre Mutter sie zurechtmacht, denn ich kann mir beim besten Willen nicht vorstellen, dass Julies Garderobenwahl – in ihrem Alter und so hübsch, wie sie ist, – unter anderen Umständen auf einen rosa Bärchen-Strickpullover und weiße Cordhosen gefallen wäre.
Sie ist Toms und Kristins kleines Mädchen, nach wie vor, das wird mir schlagartig bewusst. Da Julie ihr einziges Kind ist, versuchen die beiden vielleicht sogar, sie äußerlich möglichst lange mädchenhaft zu halten. Diese Vermutung wird zur Erkenntnis, als ich mich in Julies Zimmer umsehe.
Obwohl die Familie erst in dieses Haus eingezogen ist, als Julie schon eine junge Erwachsene war, ist der Raum sehr kindlich gestaltet. Auch hier sind Babyrosa und Weiß die dominierenden Farben. Es gibt viele Puppen und Plüschtiere. Unwillkürlich muss ich lächeln, als mir der Gedanke an Amy kommt und mit ihm die genaue Vorstellung ihrer Reaktion auf ein solches Zimmer. Ihren schockierten, sogar leicht angewiderten Gesichtsausdruck habe ich deutlich vor Augen.
Amy hasste Rosa.
Obwohl – ich weiß nicht, ob sie die Farbe an sich hasste oder nur die Tatsache, dass Gott und die Welt zu glauben schien, Mädchensachen müssten zwangsläufig in dieser Farbe sein.
Amy war immer ein kleiner Rebell gewesen und weigerte sich strikt, in eine Schublade mit den anderen Mädels gesteckt zu werden. Und sie hatte recht, denn sie war außergewöhnlich. Die Wände ihres Zimmers waren in Orange und Gelb gehalten, und während sich die anderen Mädchen der Siedlung zum Puppen-Kaffee verabredeten, spielte sie viel lieber mit mir im Freien Fangen oder aber mit unseren Dinosaurier-Figuren. Die einzige Puppe, die sie besaß, hatte sie in die hinterste Ecke ihres Zimmers verbannt und würdigte sie keines Blickes.
Ja, Amy war wirklich meine Rettung gewesen, denn in unserem kleinen Dorf gab es keine anderen Jungs außer mir. Nur mit ihr an meiner Seite war dieses Schicksal erträglich gewesen.
Als ich mir meines mentalen Ausfluges bewusst werde, schüttele ich meinen Kopf, verdränge all diese Erinnerungen und konzentriere mich wieder auf das Hier und Jetzt.
Kristin sieht
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