Deine Seele in mir /
wie schon lange nicht mehr. Ich muss mit so vielen Dingen klarkommen, doch ich befürchte, dass ich das nur schaffe, wenn ich zurückgehe. Zu meinen Wurzeln.«
Während Amy spricht, versuche ich in Toms und Kristins Gesichtern zu lesen.
Bis jetzt waren sie sehr offen für einfach
alles
gewesen, was Amy hätte helfen können. So offen, dass ich auch dieses Mal auf ihr unerschöpflich wirkendes Verständnis hoffe – doch irgendwie schwant mir etwas anderes.
Mit ihren Mienen jedenfalls hätten die beiden an jedem Pokertisch bestehen können. Sie zeigen nicht die leiseste Regung.
Amy hat ihr Anliegen noch nicht ausgesprochen, da wirft Tom seiner Frau plötzlich einen bedeutsamen Blick zu, den Kristin mit einem winzigen Nicken beantwortet. Eine Verständigung, die ich nicht deuten kann und die Amy, in den Tiefen ihrer Schilderung versunken, gänzlich verborgen bleibt.
Danach warten Tom und Kristin geduldig ab, mit Gesichtern, die man als gleichgültig
bezeichnen könnte.
Als Amy schließlich endet, blickt sie erwartungsvoll zwischen den beiden hin und her.
»Nein!«, sagt Kristin.
Es ist nur dieses eine Wort, doch es findet seinen Weg in einem solch bestimmten und unumstößlichen Ton über ihre Lippen, dass Amy die Kinnlade herabklappt. Sie braucht einige Sekunden, um zu reagieren. »Nein?«
»Nein!«, sagt nun auch Tom.
Sein Tonfall gleicht exakt dem seiner Frau. »Es war uns klar, dass du früher oder später mit dieser Bitte zu uns kommen würdest. Wir haben zwar gehofft, dass es nicht
so
schnell passiert, aber gut, nun ist es so. Kristin und ich haben ausgiebig darüber nachgedacht, Amy. Und wir werden dich
nicht
gehen lassen. Auf keinen Fall.«
»Wie bitte?« Amys Gesichtsausdruck schwankt zwischen Fassungslosigkeit und Rebellion.
Mir, der ich sie schon so lange kenne, ist völlig klar, welcher dieser konträren Gemütszustände schließlich in ihr siegen wird.
Jedes Wort aus Toms Mund ist wie ein Stein einer riesigen Mauer, die er breit und mächtig vor Amy errichtet.
Und Amy will nun nur noch das eine – diese Mauer durchstoßen!
Meine Schultern verspannen sich bereits in Erwartung ihrer weiteren Reaktion.
Amy ist eine tickende Zeitbombe, so viel steht fest.
Die drei scheinen mich komplett vergessen zu haben.
Oder ausgeblendet? Vielleicht ist meine Anwesenheit mittlerweile tatsächlich so selbstverständlich, dass sie ihnen nicht das Geringste ausmacht.
Gehöre ich für sie wirklich schon so sehr dazu?
Obwohl dieser Zeitpunkt – in der die positive Stimmung von zuvor bedrohlich schwankt – nicht der beste für diese Erkenntnis ist, wird mir warm, als ich das Gefühl der Zugehörigkeit zulasse. Doch der Schock, der mir wenig später durch die Glieder fährt, löscht die Wärme schlagartig. Amy ist wutentbrannt aufgesprungen und hat ihren Stuhl dabei zurückgestoßen. Er kippt um und knallt auf den Holzboden.
Amy schnaubt regelrecht vor Zorn. »Ich wollte euch einweihen und teilhaben lassen. Aber ich werde mir diese Reise gewiss nicht von euch
verbieten
lassen. Ich bin doch kein Kind mehr. Und außerdem brauche ich eure Zustimmung nicht. Ich bin volljährig, so oder so.«
Tom bleibt ruhig, während man Kristin ihre Nervosität nun doch anmerkt.
Unbeholfen versucht sie, ihre Tochter zu beschwichtigen. »Setz dich, Kind. Lass uns doch erklären, warum wir dich nicht gehen lassen wollen«, ruft sie.
Amy jedoch ist völlig außer sich. Ich weiß auch, warum. Als Kind hatte ich oft genug aufgeschnappt, was Evelyn – Amys Mutter – meiner Mom anvertraut hatte.
»Amy ist so ein Trotzkopf. Was sie sich in den Kopf setzt, das muss sie auch durchsetzen«, oder aber: »Die üblichen Strafen wirken bei ihr nicht. Einmal habe ich ihr sogar einen Klaps auf den Po gegeben, da hat sie mich ausgelacht. Stell dir das vor, Martha. Die einzig wirkungsvolle Strafe ist, sie in ihr Zimmer zu sperren. Amy hasst es, wenn man ihre Freiheit angeht.«
Sätze wie diese hallen in meinem Kopf wider.
Tom jedoch – unwissend, dass es Amy immer in besonderer Weise geliebt hatte, frei wie ein Vogel im Wind zu sein – begeht den schlimmsten aller Fehler.
»Amy, du irrst dich«, erklärt er in einem Ton, der so ruhig ist, dass ich weiß, wie herablassend seine Worte auf Amy wirken. »Du brauchst unsere Genehmigung sehr wohl. Streng genommen brauchst du für
alles,
was du tust, von uns eine Genehmigung. So wie ein Kind. Kristin und ich, wir sind nach wie vor dein gesetzlicher Vormund. Und daran werden wir auch nichts
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