Deine Seele in mir /
dritten Klasse waren, als er zu uns kam.«
»Ah, ah, ah.« Amy schüttelt den Kopf. Ihr Zeigefinger hebt sich und fuchtelt mir unter der Nase herum. »Nicht alle, das war es ja. Er hatte es auf mich abgesehen, weil ich die Einzige war, die sich nicht für ihn interessierte. Gekränkter Männerstolz«, flachst sie lachend.
»Nicht doch. Du warst die Hübscheste.«
Ein kräftiger Knuff zeigt mir, wie sie meinen Kommentar einordnet. »Sehr liebenswürdig von dir, Matty, aber ich bin mir durchaus bewusst darüber, dass sein Interesse einzig und allein in der Suche nach Selbstbestätigung begründet lag. Jedenfalls war er schließlich so verzweifelt, dass er mich sogar bestechen wollte. Er bot mir sein Taschengeld gegen einen Kuss von mir. Total würdelos. Aber da ich damals noch nichts mit Würde am Hut hatte, andererseits jedoch total scharf auf Eiscreme war, willigte ich ein. Ich stand schon mit gespitzten Lippen vor ihm und malte mir aus, was für eine Eissorte ich mir von seinem Geld kaufen würde, da kamst du dazwischen. Wie ein rettender Engel – außer, dass ich gar nicht gerettet werden wollte, wenn man es genau nimmt. Ich wollte Eis!«
Mit funkelnden Augen sieht sie mich an. Ja, jetzt erinnere ich mich auch wieder, doch Amy ist so in ihre Erzählung vertieft, dass ich nicht dazu komme, es ihr zu sagen. Sie verstellt ihre Stimme und guckt betont wütend, mit geschürzten Lippen und Augen, die nur noch Schlitze sind.
»Verschwinde Jonathan! Sie will dich gar nicht küssen. Und dein Geld will sie auch nicht.«
So imitiert sie mich – ziemlich treffend, wie ich befürchte – und kichert dann vergnügt. »Du warst so süß. Du hast mich von Jonathan weggerissen und dabei mit mir herumgeschimpft, als wärst du mein Vater. Und ich fand das toll. Auf dem Heimweg warst du so sauer, dass du nicht ein einziges Wort mit mir gesprochen hast. So kannte ich dich gar nicht. Es hat mich fast verrückt gemacht, und ich schwor dir verzweifelt, dass ich mich nicht von Jonathan küssen lassen würde. Nicht mal für einen Eimer voll Eis. Du hattest nicht um dieses Versprechen gebeten, aber du hast erst wieder gelächelt, als ich es dir gab. Weißt du noch? Ich versprach dir, dass du der erste Junge sein würdest, den ich küsse.«
Stille Sekunden vergehen. Sekunden, in denen ich mich wundere, dass es wirklich still ist – dass man mein Herz nicht hören kann oder das Rauschen meines Blutes.
»Und dieses Versprechen möchtest du jetzt einlösen?«
Meine Stime ist rau. Und viel zu tief.
»Wenn du es mir erlaubst. Ich bin ... wirklich noch ungeküsst, weißt du? Erwarte also nicht zu viel. Aber ... ja, ich würde mein Versprechen gerne einlösen.«
Die Röte auf ihren Wangen beruhigt mich etwas. Amy ist aufgeregt – wie ich –, auch wenn sie weitaus besser darin ist, ihre Nervosität zu verbergen.
Ich sehe sie lange an, und dieser Blick scheint ihr als Zusage auszureichen.
Begleitet von den Berührungen ihrer Fingerspitzen, die zart wie Schmetterlingsflügel über die Narbe an meiner Schläfe streichen, nähert sie sich langsam.
Wie in Zeitlupe schlägt sie ihre Augenlider nieder und verharrt für die Dauer einiger Herzschläge nur wenige Millimeter vor mir – so, dass ich ihren Atem bereits spüren kann und ihre Nasenspitze schon leicht über meine streicht.
Dann erst legen sich ihre Lippen auf meinen Mund. Ich empfange ihren Kuss, mehr tue ich nicht. Doch in dem Moment, als wir uns auf diese nie zuvor gewagte Weise berühren, spüre ich, dass ich angekommen bin. Ich fühle mich geborgen und geliebt und auf eine Art zu Hause, die so tief ist, dass ich sie lange schon vergessen hatte. Wir küssen uns nur für einige Sekunden, doch in dieser Zeit steht die Welt um uns herum tatsächlich still.
»Wow«, haucht Amy, als wir uns wieder voneinander lösen.
Nur Zentimeter voneinander entfernt, blicken wir uns einen Moment lang an. Die Entscheidung, was nun weiter geschieht, ist noch nicht gefallen, und für wenige Herzschläge lang steht alles auf Messers Schneide, das fühlen wir wohl beide. Die Spannung zwischen uns ist körperlich spürbar, die Versuchung, uns erneut zu küssen, fast unwiderstehlich groß. Die Angst davor, alles zu verändern, was wir in den letzten Wochen endlich wiedergefunden haben, ist jedoch noch größer.
Nur ein einziges Blinzeln, und der Moment ist verflogen. Nun ist er nicht mehr als eine weitere Erinnerung, die wir beide teilen.
Amy kuschelt sich erneut an mich. Ich schließe meine Arme
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