Deine Seele in mir /
– genauso schnell, wie er gekommen war.
Amy setzt sich auf und fegt die langen Haarsträhnen aus ihrem Gesicht. »Es tut mir ja auch leid«, gesteht sie kleinlaut. »Ich wollte ihnen nicht wehtun, aber ich kam mir so ...«
»... bevormundet vor. Ja, ich weiß.« Ich kann nachvollziehen, dass ihr Temperament mit ihr durchgegangen ist, und ich kenne sie gut genug, um zu spüren, wie leid ihr dieser Ausraster tut.
Den restlichen Abend verbringen wir in ihrem Zimmer. Ich unterbreite ihr den Vorschlag, den ich mir zurechtgelegt habe. »Sollen wir nicht noch einmal zu Kristin und Tom runtergehen und sie bitten, sich auf einen Kompromiss einzulassen?«
»Und was für einen?«
»Na ja, sie wissen doch nicht, dass wir sowieso erst in einem Monat fahren wollten. Wie wäre es, wenn du ihnen vorschlägst, den kommenden Monat abzuwarten und uns dann fahren zu lassen? In der Zeit könnten sie sich vergewissern, dass du ausreichend gefestigt bist, und du hättest die Möglichkeit, dein Verhalten wieder geradezubiegen. Du solltest viel Zeit mit den beiden verbringen, Amy. Erzähl ihnen von dir, such nach Gemeinsamkeiten und freunde dich endlich mit dem Gedanken an, dass ihr Blut in deinen Adern fließt. Davor solltest du dich nicht länger verschließen.«
»Das will ich doch gar nicht.«
Amy zeigt sich tatsächlich einsichtig. Nach einigen Minuten beschließt sie, noch einmal nach unten zu gehen, um sich zu entschuldigen.
Sie bleibt sehr lange. Als man mich schließlich zum Abendessen ruft, herrscht wieder Harmonie.
Später im Bett berichtet Amy mir, dass sich Kristin und Tom ein wenig Zeit ausbedungen haben. Sie wollen ihre Entscheidung noch einmal in Ruhe überdenken.
»Wir dürfen bestimmt fahren«, zeigt sich Amy optimistisch, und ich beschließe, ihr künftig mehr Zeit allein mit Kristin und Tom zu lassen.
Ich befreie mich aus meinen Gedanken.
Nun, da Amy an meinem Schreibtisch lehnt und Löcher in die Luft starrt, scheint ihre Zuversicht jedoch verflogen zu sein.
Sie
wird
fahren, ob mit oder ohne Erlaubnis, so viel steht fest.
Bleibt mir nur zu hoffen, dass auch Kristin und Tom das ahnen und rechtzeitig einlenken. Eine Freiheitsverweigerung wäre der Todesstoß der gerade erst keimenden Beziehung.
»Sie werden sicher einwilligen, Amy«, sage ich. Dann schließe ich das Fenster wieder. Sperre die Welt aus und wende mich ihr zu. »Aber du musst sie auch verstehen. Sie sollen dich, kaum dass du zum ersten Mal wirklich bei ihnen bist, einfach so gehen lassen. Und zwar auf diese enorme Reise. Nach all den Jahren, in denen sie nahezu jede Sekunde mit dir verbracht, dich gepflegt und umsorgt haben. Du warst ihr kleines Mädchen.«
Amy nickt. Die Traurigkeit in ihren Augen veranlasst mich, das Thema zu wechseln.
»Hey, weißt du, was ich nicht vergessen darf? Ich muss nach der Arbeit unbedingt noch ein Paar Schuhe aus meiner Wohnung holen.«
Etwas anderes fällt mir so schnell nicht ein. Für mein nächstes Leben hoffe ich auf mehr Spontaneität. Abgesehen davon stimmt der Vorwand – ich trage schon seit Wochen dieselben Sneakers.
»Ich war noch nie in deiner Wohnung«, stellt Amy fest. Die Aussicht, eine neue Unbekannte aufzudecken, zaubert sofort das Funkeln in ihre Augen zurück.
»Hm.« Mein Brummen ist undefinierbar.
Doch Amy spürt mein Unbehagen wohl. »Also, in meinen Visionen natürlich schon«, revidiert sie ihre Aussage. »Und das ist auch der Grund, warum du dich nicht schämen musst, Matty. Dass du nicht gerade ein Einrichtungsgenie bist, weiß ich schon lange.«
Nur wenige Stunden später stehen wir in meinem Wohnzimmer.
»Ist schon komisch, das alles nun wirklich zu sehen und sich drehen und wenden zu können, wohin man gerade will«, sagt Amy und kreiselt dabei tatsächlich um die eigene Achse. Für einen Moment verschwimmt das Bild vor meinen Augen, und ich sehe die Amy aus meiner Kindheit, wie sie sich mit weit ausgestreckten Armen durch ihren Garten dreht.
Ich verdränge diese Erinnerung. »Wie meinst du das?«
»Na, ich habe dir doch erzählt, dass mein Sichtfeld sehr eingeschränkt war. Auf dich fixiert eben.«
Ich nicke.
Die Vorstellung, dass Amy mich jederzeit begleitet hat – unbemerkt und überall – weckt zwar einerseits Begeisterung in mir, doch auf der anderen Seite treibt mich der Gedanke an den Rand des Wahnsinns.
Ich bin schon so oft all die Situationen durchgegangen, in denen mir ihre Anwesenheit nachträglich noch unangenehm ist, doch besser wird es dadurch auch nicht.
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