Deine Seele in mir /
zu. »Ich weiß nicht, wie es dir geht ...«, schmerzlich lächelt er auf seine Frau herab, »... aber ich für meinen Teil fürchte mich schrecklich davor, dass ihre Eltern sie wirklich erkennen und dass sich Amy entscheidet, bei ihnen zu bleiben. Sie könnte uns so leicht vergessen. Es gibt nur wenige Erinnerungen, die sie an das Leben mit uns hat. Unsere Verbindung ist so dünn wie ein seidener Faden. Mit einem Fingerschnippen ...«, Tom unterlegt seine Worte mit der entsprechenden Geste, »... könnte alles wieder so sein wie früher. Ohne dass wir noch die geringste Rolle in ihrem Leben spielen würden.«
Kristin drückt ihren Hinterkopf an den Oberkörper ihres Mannes. Ein weiteres Schluchzen schüttelt sie.
»Nein!«, erwidere ich energisch. »Ich kenne sie, und das wird sie nicht tun. Sie würde euch niemals den Rücken zukehren. Amy weiß genau, was sie an euch hat. Aber ... ihr müsst sie ziehen lassen. Ihr dürft nicht versuchen, sie aufzuhalten. Wenn ihr Amys Liebe, ihre Zuneigung und ihre Nähe behalten wollt, dann lasst ihr um Gottes willen ihre Freiheit.«
Kristin und Tom sehen zuerst mich an, dann werfen sie einander einen langen Blick zu. Ich unterbreche das Thema an dieser Stelle. Eine Entscheidung erwarte ich nicht. Zumindest nicht jetzt.
»Ich gehe und sehe nach ihr«, sage ich leise. Als ich bereits auf halbem Weg nach oben bin, ruft Kristin noch einmal nach mir. Ich drehe mich auf dem Treppenabsatz um und warte.
Kristins Blick ist voller Sorge, als sie zu mir aufsieht. »Wir sind sehr froh, dass du da bist, weißt du das eigentlich? Du bist wie eine Brücke, die zwei Welten miteinander verbindet. Aber ... wir haben dich noch nie gefragt, wie es dir bei der ganzen Sache geht. Bist du okay, Matty?« Meinen Spitznamen von ihr zu hören ist ungewohnt – aber schön.
»Ja, ich fühle mich sehr wohl. Es gibt noch viel aufzuarbeiten, aber jeden Tag bewegen wir uns ein bisschen weniger in der Vergangenheit und ein bisschen länger im Hier und Jetzt. Ich denke also, dass es vorwärts geht.«
»Gut.« Kristin entlässt mich mit einem Lächeln, wenn auch immer noch ein wenig traurig.
Amy liegt auf ihrem Bett. Das Bild des verzweifelten Teenagers festigt sich zu einer Erkenntnis in mir. Langsam lasse ich mich neben ihr auf der Bettkante nieder.
»Hey«, sage ich leise und streiche über das Wirrwarr ihrer Haare.
Es ist eigenartig, das zu tun, denn seit diesem Kuss zwischen uns ist vieles eigenartig geworden.
Die Magie dieses Moments, die wir beide gespürt, jedoch nicht lange zugelassen haben, steht seitdem zwischen uns. Keine noch so kurze Berührung scheint nun mehr beiläufig oder gar unschuldig zu sein. Oft kommt es mir so vor, als würden wir umeinander herumtänzeln, immer darauf bedacht, nur alles richtig zu machen – ohne eigentlich zu wissen, was das Richtige ist.
Alles, was ich von Amy sehe, sind ihre Haare, die aus dem Bett zu wachsen scheinen. Sie liegt unter der Tagesdecke, das Gesicht tief im Kissen vergraben. Am Zucken ihrer Schultern erkenne ich, dass sie noch immer weint. Nichts von dem, was sie murmelt, kann ich auch nur im Ansatz verstehen.
»Amy, sieh mich an! So verstehe ich doch kein Wort.«
Sie dreht den Kopf, aber der dichte Vorhang ihrer Locken verhüllt nach wie vor ihr Gesicht. Es ist ein süßes Bild, trotz ihrer Verzweiflung, und ich muss mich bemühen, mir ein Lächeln zu verkneifen.
»Das ist so unfair«, beginnt sie erneut. »Sie wollen mich nicht gehen lassen und haben sogar das Recht dazu, mich an der kurzen Leine zu halten. Ich habe einen gesetzlichen Vormund. Kannst du dir auch nur im Ansatz vorstellen, wie demütigend das ist? Nicht genug, dass ich seit über einundzwanzig Jahren in diesem fremden Körper gefangen bin. Kaum beginne ich, mich an ihn zu gewöhnen, schließen sie mich erneut ein.«
»Amy!« Mein Tonfall ist eindeutig. Ihr Kopf schnellt herum. Sie sieht erschrocken zu mir empor. Ja, ich bin wütend. »Die beiden wollen dich beschützen. Sie haben fürchterliche Angst, dich erneut zu verlieren. Sie haben Angst davor, dass es dieses Mal ein noch aussichtsloserer Verlust wäre als zuvor. Kannst du sie denn nicht verstehen? Was ist denn eben in dich gefahren? Tom hat deinen Namen verwechselt, na und? Sie haben dich über einundzwanzig Jahre lang so genannt. Einundzwanzig Jahre, Amy! War dieser kleine Ausrutscher Grund genug, die beiden so tief zu verletzen? Kristin weint, genau wie du.«
Irgendwo in meinem Wortschwall ist mein Zorn verpufft
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