Deine Seele in mir /
ändern, bis wir uns sicher sein können, dass du gefestigt genug bist, um auf eigenen Beinen zu stehen.«
Er nutzt Amys Sprachlosigkeit, um fortzufahren. Sein Gesicht ist eine Maske unerschütterlicher Ruhe. »Diese Reise wirst du
nicht
machen. Sie ist zu gefährlich. Du bist noch nicht einmal seit zwei Wochen bewusst bei uns, und nun sollen wir dich auf eine Reise schicken, die dich schonungslos mit all dem konfrontiert, was dich jahrelang in einen solch furchtbaren Zustand versetzt hat? Das ist unmöglich. Überlege bitte, was du von uns verlangst! ... Außerdem – was ist, wenn dir deine Eltern nicht glauben? Sie werden womöglich die Polizei auf dich ansetzen, was ich persönlich durchaus verständlich fände. Nicht auszumalen, was alles passieren könnte.«
Amy erstarrt zuerst, dann stemmt sie wutentbrannt die Hände in ihre Hüften. Ihre Augen sind nur noch schmale Schlitze, und ihr Kinn zuckt, so fest presst sie die Zähne zusammen. »Das ist es nicht, was euch bewegt«, platzt es aus ihr heraus. »Ihr macht euch keine Sorgen darüber, dass meine Eltern mir
nicht
glauben. Ihr befürchtet,
dass
sie es tun. Und dass ich mich für
sie
entscheide anstatt für euch.«
Patsch!
Diese Worte versetzen sogar mir einen Schlag unter die Gürtellinie.
»Amy, warte!« Schnell springe ich auf und greife nach ihrer Hand. Mit einem Blick bedeute ich ihr, dass sie zu weit gegangen ist. Doch sie weicht mir aus, reißt ihre Hand zurück und wendet sich ab. Vielleicht bereut sie ihre letzten Worte bereits.
»Moment mal, junge Dame!«, ruft Tom.
Die Fassade unbeirrbarer Gelassenheit ist mit einem Schlag zerbröselt. Nun liegt seine Verzweiflung brach. »So ist das nicht. Du musst auch fair bleiben! ... Wir haben immer versucht, alles so zu handhaben, dass für dich das Beste dabei herauskommt. Und so tun wir es auch jetzt, verstehst du das denn nicht? Was, wenn du etwas erlebst oder siehst, was dich so sehr trifft, dass du es nicht verarbeiten kannst?«
Tom verharrt einen Moment. Er scheint auf Amys Einsicht zu hoffen. Vergeblich. Sie ignoriert ihn, betrachtet weiterhin stur ihre Füße. Und dann geschieht es.
Das, worauf ich seit Wochen schon gewartet hatte, geschieht ausgerechnet jetzt, im gänzlich ungünstigsten Moment.
»Hey, sieh mich wenigstens an, wenn ich mit dir rede, Julie!«
Tom hat es nicht einmal bemerkt, wir anderen schon.
Und nun sieht Amy ihn an. Fast schon verächtlich trifft ihr Blick auf Tom. »Ich
bin
nicht Julie! Ich war es noch nie. Und ich werde dorthin gehen, wo die Menschen sind, die wissen, wer ich wirklich bin.«
Damit wendet sie sich ab, stürmt auf klackernden Absätzen die Treppe empor und verschwindet in ihrem Zimmer.
Mit einem Knall, der die Wände zum Wackeln bringt, pfeffert sie die Tür hinter sich zu.
Hm, kein besonders erwachsener Auftritt.
Amys Verhalten erinnert mich an das eines pubertierenden Teenagers. Schlagartig wird mir bewusst, dass es das auch ist. Schließlich war sie ja niemals eine normale Jugendliche. Offensichtlich hat sie auch – was diese hitzigen Diskussionen mit den Eltern angeht – einen eindeutigen Nachholbedarf.
Es dauert einige Sekunden, in denen man wirklich die berühmte Nadel hätte fallen hören können. Dann erfüllt ein Schluchzen den großen Raum.
Kristin.
Tom erhebt sich, tritt hinter ihren Stuhl und legt tröstend seine Arme um sie. »Ich bin mir nicht sicher, ob wir das hinkriegen«, schluchzt Kristin. »Irgendwie ... war es leichter, als sie noch nicht gesprochen hat. Ich wusste nicht, dass es so weh tun würde, mit ihr zu streiten.«
Sie tut mir schrecklich leid, und obwohl ich Amy zunächst nachlaufen wollte, entscheide ich mich nun gegen diesen Impuls.
»Kristin«, beginne ich zaghaft. »Sieh mal, es ist für uns alle nicht leicht. Für Amy doch auch nicht.«
»Das weiß ich, aber muss sie denn so unfair sein?«
Tom küsst den Kopf seiner Frau. »Vielleicht muss sie das.«
Je mehr ich darüber nachdenke, desto logischer erscheint mir Amys Verhalten. Nicht richtig – nur logisch. Ich nicke. »Ja. Sie war niemals ein Teenager. Diese Zeit der Selbstfindung hat sie noch nicht hinter sich gebracht. Sie erwacht – in einem fremden Körper, jedoch mit dem alten Geist – und soll sich von jetzt auf gleich damit zurechtfinden. Wir dürfen nicht vergessen, dass sie all die Jahre nur passiv gelebt hat. In Visionen. Mit dem einzigen Ziel, dass jemand sie findet und zurückholt – in ihre alte Welt.«
»Amy hat recht«, gibt Tom endlich
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