Deine Spuren im Sand
es sogar verdächtig, dass er so beharrlich, geradezu verbissen an meiner Gesellschaft interessiert war. Dafür gab es eigentlich nur eine Erklärung: Er war hinter mir her und hielt mit seinen finsteren Absichten noch hinter dem Berg. Er musste wissen, dass ich vor jedem Reporter die Flucht ergreifen würde. Andererseits … wie konnte er dann so dumm sein, mich seinen Presseausweis sehen zu lassen? War er vielleicht doch nichts anderes als ein Mann, dem während längeren Wartens das Gespräch mit einer Frau gut zupass kam? Dem ich womöglich gefiel mit dieser schrecklichen Perücke und der langweiligen Kleidung, die ich sonst nie an mich heranließ? Eine schlecht sitzende billige Jeans, ein graues T-Shirt und eine dunkelblaue Kapuzenjacke, die schon mindestens hundertmal gewaschen worden war. Wie die Praktikantin wohl ohne ihre Kleidung nach Hause gekommen war?
Von der Antwort auf diese Frage wurde ich abgelenkt, weil ich einen kleinen Jungen rufen hörte: »Papa, in diesem Auto kräht ein Hahn!«
Babette! Vermutlich glühte ihre Wahlwiederholungstaste schon, weil sie endlich wissen wollte, was ich mit meiner Geheimzahl vorhatte und was der Mensch im Schilde führte, für den ich unser letztes Telefongespräch so rüde unterbrochen hatte. Und natürlich wollte sie wissen, wo ich war. Das vor allem! Aber sie würde auf meinen Rückruf warten müssen. Die Geräusche beim Verladen der Fahrzeuge konnten verräterisch sein, der Wind, der während der Überfahrt an den Autos rüttelte, ebenfalls, und das Kreischen der Möwen, die den Sylt-Shuttle verfolgten, erst recht. Nein, Babette durfte erst mit meinem Anruf rechnen, wenn ich in Sicherheit war. Und dann würde ich ihr noch immer nicht verraten, wo ich mich aufhielt. Zwar war sie meine Vertraute, aber da sie ein ganz eigenes Wertesystem hatte und ein sehr ausgefallenes Gefühl für Fairness, musste ich damit rechnen, dass aus ihrer Loyalität ein Judaskuss wurde, wenn sie glaubte, mich zu meinem Glück zwingen zu müssen. Dass sie das Glück häufig ganz anders definierte als ich, darüber würde sie keine Sekunde nachdenken.
2.
B erno Kaiser ging es schlecht. Das war an sich nichts Besonderes, es ging ihm seit Wochen schlecht, genau genommen, seit dem Tag, an dem er von der Frau verlassen worden war, die er noch immer die Liebe seines Lebens nannte. Und was das Schlimmste war: Sie hatte ihn verlassen, weil sie ihn für einen Verräter hielt, für einen, dem Geld wichtiger war als die Liebe, der die Karriere über alles setzte und dem beruflichen Erfolg sogar das Glück der Frau, die ihm vertraute, vor die Füße warf. An ihren Vorwürfen war nichts Wahres dran, gar nichts! Aber sie glaubte ihm nicht, denn Berno hatte nicht beweisen können, dass er unschuldig war. Und seitdem ging es ihm schlecht.
Selbstverständlich war er sofort zum Arzt gegangen, nachdem Emily mit ihm Schluss gemacht hatte. Und er ärgerte sich heute noch darüber, dass er nicht ernst genommen worden war. Liebeskummer war keine therapierbare Krankheit? Auch nicht, wenn sie mit Übelkeit, Realitätsverlust, Alkoholismus im Anfangsstadium und rasenden Kopfschmerzen einherging? Nein, der Arzt war komplett uneinsichtig gewesen. Berno hatte ihn nicht einmal dazu bewegen können, vorsichtshalber ein CT zu machen, weil Kopfschmerzen ja nicht nur eine Folge des Alkoholmissbrauchs, sondern durchaus auch ein Indiz für einen Gehirntumor sein konnten! Und dass er keinen Appetit hatte? Das sollte nur daran liegen, dass ihm sein Kummer auf den Magen geschlagen war? Okay, möglich, dass sich das von selbst wieder gab, aber musste ein verantwortungsvoller Arzt nicht auch an die Möglichkeit einer Gastritis oder gar eines Magengeschwürs denken? Doch Bernos Hausarzt war nicht zu erweichen gewesen. Außer ein paar Baldriantabletten und Vitaminpillen hatte er nichts bekommen, was ihm weiterhalf. Und das Schlimmste war, auch die beiden Fachärzte, die er daraufhin konsultierte, hatten nichts diagnostizieren können, was irgendeine Therapie lohnte.
»Sie sind kerngesund!«, hatte es geheißen. »Wenn Ihre Freundin Sie verlässt, müssen Sie entweder versuchen, sie zurückzuholen, oder sich damit abzufinden. Aber das geht ohne jede Therapie und vor allem ohne die Verabreichung von Psychopharmaka.«
Einer der beiden Fachärzte hatte sich sogar zu dem Ratschlag verstiegen, sich einfach mit einer anderen Frau von der einen abzulenken. Daraufhin hatte Berno sich geweigert, dessen Rechnung zu bezahlen. Und dass der
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