Deine Spuren im Sand
war, dass Emily Funkes Karriere, mit der es seit zwanzig Jahren steil bergauf ging, einen Knick bekommen hatte. Ihr letztes Album hatte einen schlechten Start gehabt, und die Nebenrolle in einem Kinofilm hatte ihr nicht gebracht, was sie sich erträumt hatte. Emilys Hoffnung war gewesen – aber das hatte sie natürlich niemandem außer Berno anvertraut –, dass die Schauspielerei ein zweites Standbein werden könnte, weil ja jeder wusste, wie schnell es mit einer Karriere im Showbusiness vorbei sein konnte, wenn man in die Jahre kam. Doch die Kritik war gnadenlos mit ihr umgegangen. Kein Talent, keine Ausstrahlung! Eine Sängerin, die versuchte, aus ihrem Namen Kapital zu schlagen, mehr nicht! Und das waren noch die freundlichsten Schlagzeilen gewesen! Sogar die Close up hatte auf den Titel gesetzt: »Tu’s nie wieder, Emily!«.
Erneut klingelte das Telefon, aber Berno nahm auch diesmal nicht ab. Er schlurfte ins Bad und betrachtete sein Spiegelbild, als fragte er sich, ob es überhaupt einen Sinn hatte, sich zu waschen, zu rasieren und zu kämmen. Wenn Emily diesen Titel gesehen hatte, dann glaubte sie womöglich sogar, dass er dafür verantwortlich war. Und dann war sowieso alles egal.
Aber als wäre es möglich, dass sie in der nächsten Stunde vor seiner Tür erscheinen und ihn dafür zur Rechenschaft ziehen könnte, fasste er den Entschluss, sich wieder in den zu verwandeln, in den Emily sich verliebt hatte. Dem müden, stoppelbärtigen Mann in den ausgeleierten Boxershorts würde sie keinen zweiten Blick gönnen. Emily legte Wert auf gepflegtes Äußeres, also duschte und rasierte er sich, sie hasste spießige Kleidung, also schlüpfte er in eine verwaschene, aber gut sitzende Jeans und zog sich ein knappes T-Shirt über den Kopf, in dem seine Armmuskulatur gut zur Geltung kam. Emily hatte behauptet, manchmal sehe er aus, als habe er gerade einen Tiger erlegt, also verstrubbelte er seine Haare wieder, nachdem er sie mit dem Kamm entwirrt hatte, und suchte das Deo aus dem Badezimmerschrank, von dem die Werbung behauptete, es umgebe jeden Mann mit dem Duft eines Großwildjägers. Er wollte auf alles vorbereitet sein, obwohl er wusste, dass nichts geschehen würde. Dann kochte er sich einen Kaffee, der einen Herzkranken ins Jenseits befördert hätte, und griff zur Fernbedienung des Videorecorders. Er fühlte sich stark genug, Emily wiederzusehen …
Plötzlich war wieder alles so wie vor zwanzig Jahren! Der Geruch, die Geräusche, das Licht! Die Kälte, direkt unter der Wärme der Sonne, das Geschrei der Möwen, das Klappern der Planken, als die Autos auf den Zug fuhren, die Helligkeit, die vom Meer herüberkam!
Ich drehte die Rückenlehne meines Sitzes tiefer, lehnte mich zurück und legte die Füße aufs Armaturenbrett. So hatte ich es nicht nur bequem, sondern mich auch gegen den Blick in den Rückspiegel verwahrt, in dem mir das Gesicht des Traummanns begegnet wäre, der nicht die Absicht zu haben schien, sich an der vorbeiziehenden Landschaft zu erfreuen. Er starrte meinen Rückspiegel an, als wollte er mich zwingen, seinen Blick zu erwidern. Schlimm genug, dass ich nicht vor ihm flüchten, dass ich meine Angst vor den Verfolgern nicht abschütteln konnte! Während meiner Rückkehr nach Sylt wollte ich jedenfalls so allein wie möglich sein.
Als der Zug sich in Bewegung setzte, geschah es dann: Die Zeit schrumpfte zusammen, aus den zwanzig Jahren wurden im Nu der Abstand zwischen den Ferien in Bayern und der Heimkehr auf die Insel oder zwischen einem Besuch bei Tante Rosi in Flensburg und der Rückkehr nach Sylt. Einmal mehr war ich sicher, dass es richtig war, nach Sylt zu fliehen statt nach Süditalien oder Australien.
Ganz allmählich nahm der Zug Fahrt auf. Vorbei ging es an lockerer Bebauung, die immer spärlicher wurde, bis nur noch einzelne Gehöfte zu sehen waren, an ausgedehnten Weiden, auf denen unzählige Kühe und Schafe dem Wind den Rücken zukehrten. Immer weiter streckten sie sich, diese Weiden, die Schafe darauf waren immer dünner gesät, und dann … dann kam es heran. Eine Ahnung zunächst, die aber schnell zur Gewissheit wurde. Der Himmel wölbte sich so weit, wie er es nur über dem Meer tun konnte, es gab nichts Hohes mehr, nichts Gewaltigeres, das ihn zerschneiden konnte. Das Meer war da!
Meine Oma hatte noch davon erzählt, dass viele Sylter den Hindenburgdamm für etwas Unheilbringendes gehalten hatten. Durch ihn war den Fremden Tür und Tor geöffnet worden, sie konnten
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