Deine Steuern sollst du zahlen (Aargauer Kriminalromane) (German Edition)
überlegen, ob wir Fritschi nochmals befragen wollen. Aber ehrlich gesagt, in mir sträubt sich alles dagegen, einen sterbenskranken Menschen zu befragen.“
„Priester oder Pfarrer tun das aber auch“, warf Angela ein, „manchmal kann eine letzte Beichte den Tod erleichtern.“
„Vielleicht, aber ich bin kein Priester“, sagte Nick, „und auch kein Sterbebegleiter. Ich will zuerst die anderen Spuren verfolgen.“
„Gut, dann lasse ich euch arbeiten“, sagte Gody und stand auf. „Ich bin sehr froh, dass du wieder dabei bist, Nick, und dass die Geschichte mit Toggenburger glimpflich abgelaufen ist. Wir hätten alle zusammen mit dir untergehen können, das weisst du. Ich bin übers Wochenende mit der Familie im Wallis, aber übers Handy könnt ihr mich erreichen. Ciao!“
Peter machte sich daran, die Handyüberwachung von Hintermeister zu organisieren, Angela rief Edith Buchmann an und versprach, sie um viertel vor neun abzuholen; Nick liess sich in seinem Bürosessel zurückfallen und dachte nach.
Der Fall schien ungreifbarer zu werden, obwohl das Team viele verschiedene Spuren entdeckt hatte; alles war vage und wenig konkret. 'Vielleicht' und 'möglicherweise' waren die Worte, die immer wieder auftauchten; es schien beinahe, als ob die Ermittlungen seine privaten Emotionen spiegelten. Auch dort gab es keine Sicherheit, nur Vermutungen.
Mit einem tiefen Seufzer nahm er sich die Akte von Patrizia Obrist nochmals vor. Gody Kyburz hatte zwar mit einem der damaligen Ermittler gesprochen, aber es war nichts Neues dabei herausgekommen. Nach Abschluss ihrer Matura hatten die jungen Leute in einer Waldhütte oberhalb von Biberstein ein Fest gefeiert, das von Mittwochabend bis Freitagmittag dauerte. Insgesamt hatten etwa vierzig Maturanden aus verschiedenen Parallelklassen daran teilgenommen, darunter Gion Matossi, Paul Hintermeister, Kurt Fritschi und Maja Studer, allerdings nicht alle gleichzeitig. Laut und ausgelassen sei es gewesen, aber das sei verständlich am Ende der Schulzeit, sagte ein Nachbar damals.
Am Freitagabend meldete die Familie Obrist ihre Tochter Patrizia als vermisst, und der Marathon der Befragungen und Untersuchungen begann. Alle hatten Patrizia am Fest in der Waldhütte gesehen, allerdings erinnerte sich keiner an den Zeitpunkt, als sie nicht mehr da war. Die Mitschüler waren sich einig, dass die junge Frau viel trank, aber sie war bei weitem nicht die einzige. Es gab einen Raum mit etwa fünfzehn Matratzen, wo man seinen Rausch ausschlafen konnte, bevor man nach ein paar Stunden wieder mit dem Trinken anfing. Eine Freundin erinnerte sich, Patrizia dort laut schnarchend gesehen zu haben, aber sie hatte keine Ahnung mehr, wann das war.
Man suchte die Umgebung mit Hunden ab, weitete die Suche zur Aare hin aus, fahndete schliesslich in der ganzen Schweiz und im Ausland nach ihr – ohne den geringsten Erfolg. Ihre beste Freundin behauptete, sie wäre niemals einfach abgehauen, ohne etwas zu sagen. Selbstmord wurde ausgeschlossen; alle waren sich darüber einig, dass Patrizia eine fröhliche junge Frau war, die ihrem zukünftigen Leben optimistisch entgegenblickte. Es musste also ein Verbrechen sein, nur gab es keine Spuren, keine Beweise, kein Motiv, kein Geständnis.
Nach drei Jahren erstellte die Kantonspolizei einen Schlussbericht; danach blieb Patrizia Obrist zwar auf der Vermisstenliste, aber die Untersuchungen wurden eingestellt. Eine Fahndung würde erst wieder eingeleitet, wenn glaubwürdige neue Hinweise auftauchten. Der vage Tipp eines Reporters oder die Beschreibung eines Mediums gehörten wohl nicht dazu, dachte Nick, auch nicht sein eigenes Gefühl, dass der Tod von Gion Matossi etwas zu tun hatte mit dem Verschwinden von Patrizia Obrist. Auf seine Gefühle konnte sich Nick Baumgarten im Moment sowieso nicht verlassen, zu gross war der Aufruhr in seinem Herzen.
Samstag
Der Direktor der Ersparnisgesellschaft Küttigen empfing seine Besucherinnen diesmal sehr freundlich und entschuldigte sich für den Vorfall vom Freitag. Er kontrollierte Edith Buchmanns Pass, die Kopie des Testaments und den Totenschein genau; dann wollte er die Ausweise von Angela und Nick sehen. Schliesslich geleitete er sie ins Untergeschoss, schloss eine Gittertür auf und liess die drei im Schliessfachraum allein.
Edith Buchmann setzte sich, Angela öffnete das Fach mit dem mitgebrachten Schlüssel und stellte die Plastikbox vor sie auf den Tisch. Die Spannung stieg, als die Schwester von Gion Matossi
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