Deine Stimme in meinem Kopf - Roman
reales,
einseitiges
Bild. Doch weil er die Beziehung so abrupt beendet hat, müssen Sie die Dinge, die Sie im Laufe der Zeit über ihn erfahren hätten, nun durch diese überraschende Trennung lernen. Sie haben gelernt, dass er einen verzweifelten Wunsch nach Intimität hat und gleich darauf den verzweifelten Wunsch, sich komplett einzuigeln, sich in eine Höhle zurückzuziehen. Irgendwann wird er sich dort einsam fühlen und zurückkehren.«
»Zu mir?«
Er muss nicht lange überlegen. »Zu einer anderen.«
»Und ich muss ihn zusammen mit dieser anderen Frau sehen?«
»Sie müssen Kassandra sein und wissen, was diese andere erwartet.«
Ich frage, ob ich ihm ein Foto zeigen darf, auf dem wir beide zu sehen sind. Mir ist eingefallen, dass dieser Doktor, der Verrückte behandelt, mich nie zuvor gesehen hat und nichts von mir weiß. Vielleicht denkt er, ich habe alles nur erfunden.
Er betrachtet die Fotos. »Ihr wirkt sehr glücklich.«
Ich runzle die Stirn. »Das waren wir auch.«
Als er mir die Fotos zurückgibt, sage ich: »Ich will ja nur, dass mir die beiden Männer alles erklären. Ich will wissen, wie zwei Menschen, die ich so sehr geliebt habe, gestorben sind, und ich nicht einmal
ahnen
konnte, dass sie krank sind.«
Er verschränkt die Hände vor den Knien.
»O ja, eine Erklärung stünde Ihnen absolut zu, aber Sie werden keine bekommen.«
Nach der Sitzung gehe ich in ein Kaufhaus und kaufe mir einen roten Lippenstift, den ich nicht brauche – jeder rote Lippenstift ist ein roter Lippenstift, ich brauche keinen roten Lippenstift. Der Mann hinter der NARS -Verkaufstheke berät mich. Er hat eine dunkle Haut, helles Haar und helle Augen, und irgendwie erinnert er mich an Christopher, als wir uns kennenlernten, aber er ist super-gay. Er versucht, einen Farbton zu finden, der zu meiner Haut passt, aber es fällt ihm nicht leicht. »Im Moment ist es schwer zu sagen, was zu mir passt, weil ich so viel weine.«
»Ein Mann?«
Ich nicke.
Er wedelt mit seinem Lippenstiftpinsel vor meinem Gesicht herum. »Schluss damit! Honey, Sie sind zu schön für Tränen!«
»Haben Sie es noch nicht gehört? Ich bin unglaublich hässlich. Steht im Internet.«
Ich winke ihm zum Abschied zu und tänzle wieder auf die Straße, vermutlich auf direktem Weg in meine Manie. Ich tanze um das Stoppschild herum und gehe und gehe, was in Los Angeles eigentlich kein Mensch tut. Plötzlich merke ich: Ich mache den Leuten Angst. Was für ein Segen, selber mal keine Angst zu haben.
Wenn ich jetzt an den Abend zurückdenke, an dem ich GH kennenlernte, wird mir klar, dass er sich damals schon verabschiedet hat. Ich begreife, dass Dr. R mich von der ersten Sitzung an auf das Ende vorbereitet hat, wenn auch nicht auf seinen Tod. Der Unterschied liegt darin, dass ich blutend zum Termin bei Dr. R kam, GH aber geheilt gegenübertrat.
38. Kapitel
Ich lasse mich auf ein Blind Date mit einem netten jüdischen Mann ein. Gleich beim Kennenlernen sagt er: »Ich kenne deine Geschichte. Hoffentlich macht es dir nichts aus, dass ich das sage.« Er holt mich ab, geht mit mir ins Kino, anschließend zum Abendessen, und besteht darauf, alles zu bezahlen. Als er mich küsst, fange ich an zu weinen. Ich erkläre ihm, dass es nicht daran liegt, dass ich mir wünschte, er wäre ein anderer, sondern weil es so ein Schock für mein System ist, begehrt zu werden, nachdem ich mich so einsam und verlassen fühlte.
Wir schauen uns
Das Bildnis des Dorian Gray
an, mit Angela Lansbury. Im Film macht Dorian ihr den Hof, bis sie mit ihm schläft, und hinterher teilt er ihr in einem Brief mit, dass sie nie wieder ein Teil seines Lebens sein wird. Daraufhin begeht sie Selbstmord.
Der Mann, mit dem ich mir den alten Film anschaue, ist Kantor – ein verdammter Kantor – wie absurd! Aber eigentlich nicht mehr oder weniger absurd als ein Filmstar. Beide arbeiten im Reich der projizierten Träume. Die Menora ist genau wie wahres Kino, ein Objekt von absoluter Schönheit. Beide sind nicht funktional. Sie sind nur da, um bewundert zu werden. Auch wenn man im Schein der Sabbat-Lichter lesen kann. Ich denke an GH . Ich spreche ein Gebet für ihn und lasse mich vom Kantor nach Hause fahren.
Im Auto spielt er die Coverversion der White Stripes von Bob Dylans
One More Cup of Coffee
. Er spielt eine Coverversion meines Gypsy-Husband-Songs, und alles ist wieder in Ordnung.
Er ist nicht
er
. Aber er ist immerhin nett zu mir.
Als ich nach Hause komme, grüble ich darüber
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