Deine Stimme in meinem Kopf - Roman
»Wie geht’s GH ?«, und ich hole tief Luft.
»Gut.«
»Der Kerl ist so was von verliebt in dich. Lilly und ich sind seit zwanzig Jahren zusammen, und wir haben neulich gesagt, dass man echt selten eine solche Energie zwischen zwei Menschen sieht wie zwischen euch.«
Ich räuspere mich. Dann rücke ich mit der Wahrheit heraus.
Mum und ich gehen zum legendären House of Blues Gospel Brunch. Wir essen alles, von Shrimps-Jambalaya bis zu Schoko-Bananen-Brotpudding. Die Gospelsängerin auf der Bühne singt strahlend: »There ain’t no party like a Holy Ghost Party!«, und wir glauben ihr aufs Wort.
Sie heißt Sunshine und hat unglaublich lange Fingernägel, die sich schon einrollen, und sie schnipst damit, als sie
This Little Light of Mine
singt.
Kein Mensch würde glauben, wie viel meine Mutter und ich an diesem Morgen getanzt haben. Wir tanzten bis zum Umfallen. Beim Hinausgehen bleibt Mum kurz stehen und packt noch ein paar frittierte Apfelscheiben in ihre Handtasche. »Dann geh halt nicht mit einer älteren jüdischen Dame zu einem Büffet!«, blafft sie, als ich die Augen verdrehe.
An diesem Abend schauen wir uns
Slumdog Millionaire
an, von dem alle schwärmen. Beim Abspann sieht Mum mich an, nimmt ihre Brille ab und sagt: »Deinetwegen hab ich mir nun einen Film über Scheiße angeschaut.«
Nach dem Aufwachen spielen wir Tarot, was eine Marotte von uns geworden ist. Mum zieht eine Karte, auf der ein barockes Bild von einem blonden Mann mit einer goldenen Schale zu sehen ist. Sie betrachtet ihn eingehend. »Ich fände es schrecklich, wenn ich runterginge und keinen Kaffee bekäme, sondern dieser Typ hier sagen würde: ›Ich habe Ihnen diese Schale gebracht.‹«
Sie bringt mich mehr zum Lachen als jeder andere, den ich kenne. Und als Nächstes sagt sie: »Vorhin, als ich aufwachte, war ich schrecklich traurig, weil du so viel weinst.«
Sie hat ihre Kontaktlinsen noch nicht drin und trägt ihre Brille, mit der sie wie eine kleine Wühlmaus aussieht.
»Schon okay, Mum, ich habe mich daran gewöhnt.«
Nach ihrer Abreise beschließe ich, dass ich nicht dauernd nach San Francisco reisen kann, deshalb vereinbare ich einen Termin mit dem Psychiater in Beverly Hills, den Dr. K mir empfohlen hat. Ich ärgere mich, dass ich hingehe. Ich schreibe mir nicht mal seinen Namen auf, nur seine Apartmentnummer. Das Wartezimmer sieht aus wie ein Gehirn. Er selbst sieht aus wie Jim Carrey, immer wenn er eine ernsthafte Rolle spielt und keinen Oscar bekommt.
Ich erzähle ihm sofort, wie schlimm Dr. Rs Verlust für mich ist, und dass ich erst merkte, dass etwas nicht stimmte, als ich anrief, um einen Termin zu vereinbaren, und mir sein Anrufbeantworter sagte, das Büro sei geschlossen. Erst als ich die E-Mail seines Schwagers las, erfuhr ich von Dr. Rs Tod.
»Wie schrecklich! Das ist
nicht
okay.«
Ich bin schockiert. Es klingt, als sei er auf einen Hund böse.
Ich habe mich daran gewöhnt, GH in Schutz zu nehmen, und nehme nun auch Dr. R in Schutz.
»Na ja, aber es muss einem ja erlaubt sein, zu sterben, wenn man sterben will. Auch wenn es zur Folge hat, dass die Patienten im Dunkeln tappen.«
Er widerspricht vehement.
Dann erzähle ich ihm von GH .
»Wie entsetzlich!«
Ich hoffe plötzlich, dass er schnell entsetzt ist. Ich heule zwar schon seit Monaten wegen GH , merke aber plötzlich, dass ich nicht recht haben will. Ich will, dass er mir sagt, meine Reaktion sei unangemessen. Weil ich verrückt bin. Vielleicht bin ich auch krank. Vielleicht nehme ich die falschen Medikamente.
Ich erzähle ihm von den einunddreißig Geschmacksrichtungen, die Baskin-Robbins im Angebot hat, und die es auch auf der Skala des Leidens gibt, und dass das, was ich durchmache, im Großen und Ganzen völlig in Ordnung ist.
»Es ist nur so, dass wir so viele Pläne hatten, die er ständig vorangetrieben hat. Er redete dauernd von Orten, an die wir reisen wollten, von Kindern, die wir haben wollten ...«
»Es ist normal, dass ihr Pläne hattet, völlig klar. Wären Sie siebzehn gewesen oder vielleicht auch zweiundzwanzig, hätte ich Ihnen geraten, die Sache etwas langsamer anzugehen. Aber nicht mit zweiunddreißig! Deshalb tut es auch so weh. Weil die Pläne so angemessen waren.«
Ich denke an das, was Dr. R sicher noch alles mit Barbara geplant hatte.
»Na ja, ich weiß nicht, ob er es ernst gemeint hat, ob es real war, und das treibt mich fast wieder in den Wahnsinn.«
»Natürlich war es real. Es war ein
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