Deiner Seele Grab: Kommissar Dühnforts sechster Fall (Ein Kommissar-Dühnfort-Krimi) (German Edition)
selbst, woher ihr diese Lügen zuflogen.
Plötzlich sehnte sie sich nach ihrem Vater und ihrer Mamusch, nach ihren Brüdern und nach diesem heruntergekommenen Dorf am Jalpuch mit seinen windschiefen Holzhäusern, nach den Ziegen und Hühnern, nach den Trauben an der Hauswand und dem selbst gekelterten Wein, nach den Pferdefuhrwerken und den weiten Feldern. Ein paar Wochen würde sie es dort aushalten. Doch zuerst brauchte sie einen neuen Namen, neue Papiere. Wie sollte sie darankommen? Sie hatte keinen Plan. Kommt Zeit, kommt Rat.
Sie erreichten den Rastplatz vor der Grenze. Udo kroch aus der Koje, gab Anjela eine Flasche Wasser und hob die Matratze hoch. Darunter befand sich ein Hohlraum. »Hältst du es da drinnen notfalls zwei Stunden aus?«
Sie nickte tapfer. Vorher noch eine Zigarette! Was würde sie dafür geben. Doch sie hatte keine, und ihre beiden Retter rauchten nicht.
Anjela war dem Schicksal dankbar, das ihr Udo und Carmen geschickt hatte, kurz hinter Wien auf einem Rastplatz für Trucker. Mit ihrem Schild Bukarest/Bucure ş ti war sie von LKW zu LKW gezogen und hatte sich mal mehr, mal weniger eindeutige Angebote anhören dürfen. Bis sie auf Carmen gestoßen war. »Wir fahren zwar nach Chi ş in ă u, aber ein Stück können wir dich mitnehmen. Okay?« Was für ein Glücksfall!
»Keine Sorge, es kommt genügend frische Luft rein«, sagte Udo. »Und meistens geht es schneller. Wenn wir Glück haben, hat Oleg Dienst. Der kennt uns schon. Beim Hineinfahren kontrollieren sie eh nicht so stark. Wer will schon illegal aus Europa raus? Also mach dir keinen Kopf. Wird schon klappen.«
Anjela kletterte in das Loch. Carmen lächelte ihr aufmunternd zu. Udo legte die Matratze wieder drüber. Es wurde dunkel und noch heißer. Udo fuhr los. Rumpelnd ging es ein paar Minuten über die Autobahn, bis er stoppte. Dumpf klang Carmens Stimme in ihr Versteck. »Alles prima. Es sind nur zwei Kollegen vor uns dran. Wird nicht lange dauern.«
Der Motor erstarb. Kurz darauf hörte sie Gesprächsfetzen, das Schlagen der Fahrertür und dann das der Türen im Heck des Lasters. Schritte im Laderaum. Dann war es eine Weile still. Lachen, Türenschlagen. Keine halbe Stunde dauerte die Aktion, bis der Motor wieder gestartet wurde und sie losfuhren.
Minuten später stoppte Udo am Straßenrand und befreite Anjela. Sie kletterte auf die Koje, setzte sich auf die Matratze und ließ die Beine zwischen ihren Rettern baumeln. »Danke!«
»Keine Ursache. Gerne geschehen«, sagte Carmen grinsend. »Und jetzt den passenden Soundtrack.« Sie schob eine CD in den Player. Gypsy-Punk erklang. Gogol Bordello: Supertheory of Supereverything .
I don’t read the Bible, I don’t trust disciple
Even if they’re made of marble, or Canal Street bling.
Anjela sang lauthals mit. I don’t read the Bible, I don’t trust disciple.
Sie fuhren über eine Brücke. Darunter floss träge die Moldova gen Osten, dahinter verschwammen die sanften Hügel des weiten Lands im Regen. Anjela schluckte. Endlich war sie wieder daheim. Nur Olia nicht.
88
Dühnfort bedankte sich beim Team für die gute Zusammenarbeit und verabschiedete alle ins Wochenende. Auch wenn noch jede Menge zu tun war, bis sie alle Beweise, Spuren, Indizien und Aussagen zusammengetragen hatten, die nötig waren, um Achim Kubisch vier Morde und zwei Mordversuche nachzuweisen und seiner Frau Judith die Mittäterschaft. Jetzt hatten sie sich erst einmal zwei freie Tage verdient. Es war auch für ihn Zeit zu gehen. Er packte seine Sachen zusammen und wollte das Licht löschen, als sein Handy zu klingeln begann. Er sah aufs Display. KHK Malte Brehm. Der Kollege aus Frankfurt. Dühnfort meldete sich. Während er zuhörte, verflog seine gute Laune. Anjela Livitchi war in Frankfurt entwischt. Einfach abgehauen. Bei einem Gang auf die Toilette war sie durch ein Fenster geflüchtet, was offenbar eine beinahe akrobatische Leistung gewesen sein musste. Die Fahndung nach ihr lief. Brehm war zuversichtlich, dass sie sie bald wieder in Gewahrsam nehmen würden. Er wollte nur Bescheid sagen und würde sich melden, sobald sie Anjela hatten.
Herrgott! Sie brauchten sie als Zeugin im Prozess gegen Achim und Judith Kubisch. Weit würde sie allerdings nicht kommen, ohne Pass und ohne Geld, da gab Dühnfort Brehm recht und verabschiedete sich.
Er löschte das Licht im Büro. Im Treppenhaus begegnete ihm Heigl. »Tino, gut, dass ich dich noch treffe. Ich hab grad erfahren, dass Potthoff zurückrudert.
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