Deiner Seele Grab: Kommissar Dühnforts sechster Fall (Ein Kommissar-Dühnfort-Krimi) (German Edition)
gut erholt. In der Lunge gibt es ein Geräusch. Hoffentlich wird das keine Lungenentzündung. Die Blutwerte sind in Ordnung. Derzeit sind keine Entzündungswerte nachweisbar. Wenn alles gutgeht, ist er in zwei oder drei Tagen wieder daheim.«
Clara war froh, das zu hören. Gleichzeitig legte sich die Last der Verantwortung wie ein Sandsack auf ihre Schultern. Heute hatte sie einen ganzen Tag ohne Unterbrechung arbeiten können und beinahe achtzig Seiten Lektorat geschafft. Das war seit Monaten nicht mehr der Fall gewesen, denn der Pflegedienst kam nur morgens und abends. Alle zwei bis drei Stunden unterbrach sie ihre Arbeit und sah nach ihrem Vater.
Dr. Wernicke setzte die Brille wieder auf. »Haben Sie sich denn schon Gedanken gemacht, wie Sie die Pflege künftig organisieren wollen? Sie werden das nicht mehr alleine schaffen. Die Stürze werden sich häufen und auch die Tendenz wegzulaufen. Er läuft doch weg?«
Clara nickte. Zweimal war Paps schon ausgebüxt, obwohl sie ihn gebeten hatte, nicht alleine aus dem Haus zu gehen. Er fand nicht mehr zurück. Einmal hatte ihn eine Nachbarin heimgebracht, das andere Mal hatte sie ihn gefunden. Am Pariser Platz. Keine zweihundert Meter von seiner Wohnung entfernt. Er hatte keine Ahnung gehabt, wo er war.
Wernicke legte seine Hände aneinander. »Sie können nicht den ganzen Tag an seiner Seite sein. Sie haben schließlich auch ein Leben. Sie sollten entweder eine Pflegekraft ins Haus holen oder für Ihren Vater einen Platz im Heim suchen. Er braucht professionelle Hilfe, und das bald rund um die Uhr. Das können Sie nicht leisten.«
Clara war sich seit Monaten im Klaren darüber, dass diese Entscheidung früher oder später anstand. Nun also früher.
»Ich werde es mit ihm besprechen.«
»Sehr schön.« Dr. Wernicke begleitete sie zur Tür.
In ein Heim wollte Paps auf keinen Fall. Das hatte er immer gesagt. Seit einigen Jahren gab es die Möglichkeit, über Agenturen Pflegekräfte zu engagieren, die mit in der Wohnung lebten. Es war Zeit, sich schlauzumachen, wie das genau funktionierte und was es kostete. Paps’ Wohnung war groß. Das Gästezimmer stand seit Jahren leer. Als ehemaliger Oberstudienrat verfügte er auch über eine gute Pension. Eigentlich sollte es problemlos klappen, ihn auf diese Weise betreuen zu lassen.
Als Clara das Krankenzimmer wieder betrat, saß Franzi an Paps’ Bett. Er war munter und aufgedreht. »Hallo Clara, schön, dass du mich auch besuchst. Sieh mal, Franziska hat mir meine Lieblingsschokolade mitgebracht. Rum-Trauben-Nuss.«
5
Clara sah auf, als Franzi das Tablett mit zwei Latte macchiato auf dem Tisch in der Krankenhaus-Cafeteria abstellte. Ihre kleine Schwester sah phantastisch aus. Wie immer. Niemand würde glauben, dass sie Mitte vierzig war, sondern sie für wenigstens fünf Jahre jünger halten. Wie machte sie das? Mit zwei pubertierenden Kindern, einem Vier-Personen-Haushalt und ihrem Café, das sie mit ihrer Freundin Beate betrieb. Sie trug Hüftjeans und einen pflaumenfarbenen Pullover. Sandelholzfarbener Lippenstift, dezentes Make-up. Die braunen Locken glänzten, die dunklen Augen strahlten, jede ihrer Gesten steckte voller Energie. Franzi glückte einfach alles. Für einen Moment spürte Clara Neid.
Der Latte war heiß. Clara legte die kalten Hände ums Glas. Ihr selbst ging es ja nicht wirklich schlecht. Gut, die Ehe mit Hannes war vor zwei Jahren gescheitert. Wenn irgendjemand ihr das vor drei Jahren prophezeit hätte, wäre sie in Gelächter ausgebrochen. Toller Witz. Sie und Hannes gehörten zusammen wie Birne und Helene, wie Struwwel und Peter, wie Topf und Deckel. Doch dann war die banalste aller Banalitäten passiert. Ein Plot, den sie keinem Autor durchgehen lassen würde. Pures Klischee. Hannes war mit Ende vierzig in eine Midlife-Crisis geraten. Als Therapie hatte er sich das Übliche verordnet, eine junge Geliebte, und die hatte er dann auch noch geschwängert. An ihm lag es also nicht, dass ihre Ehe kinderlos geblieben war. Als hätte er je Kinder gewollt. Dieser Schwarze Peter war in ihrem Feld gelandet. Und so manch anderer war gefolgt.
Franzi trank einen Schluck. »Nicht gerade preisverdächtig. Bei mir gibt es Besseren.« Sie stellte das Kaffeeglas ab. Ihr Handy begann eine Melodie zu spielen. Sie sah aufs Display. Ein verträumtes Lächeln erschien. Ihre Lippen formten sich zu einem Kussmund, während ihre Finger über die Tasten flogen und eine SMS schrieben.
Als sie fertig war, sah sie auf,
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