Delfinarium: Roman (German Edition)
Jefferson Airplane heraus. »Aber wenigstens ist das Großer-Bruder-Musik und nicht Elternmusik.« Sie dreht sich um und schaut mir vorwurfsvoll in die Augen. »Du hörst richtige Elternmusik, das ist das Letzte. Du versuchst das Leben deiner Eltern nachzuleben.«
»Stimmt«, sage ich.
Was meinen Vater anbelangt, bräuchte ich mir dafür bloß eine Strickjacke überzuziehen und mich in den Sessel zu setzen, den inneren Schalter auf apathisch drehen.
Ich betrachte den Rücken von Petra und frage mich, warum sie so anders ist als ich.
Erst gestern habe ich neben ihr im Garten gestanden und ihr dabei zugesehen, habe ihr zur Hand gehen müssen, wie sie ein Banner für die Demo auf dem Deich malte. Wir haben im Garten gestanden und ich guckte zu, wie sie rote Buchstaben auf ein Betttuch schmierte. Ich hatte ihr helfen sollen, aber dann stand ich bloß da und wusste nichts zu tun. Es war einfach ihr Job und ihre Aufgabe. Manchmal hatte ich den Stoff stramm gezogen, damit die Buchstaben besser saßen.
WIDERSTAND hatte sie geschrieben.
»Hilfst du mir nun?«, hatte sie gefragt, als wir die Holzlatten an das Laken nagelten.
»Tu ich doch«, hatte ich geantwortet.
»Nein, ich meine, ich kann das Ding ja schlecht alleine über den Deich tragen, hilfst du mir bei der Aktion?«
Ich musste schlucken. Ich sah mich auf dem Deich vor dem Airbus-Werk stehen, von Boulevardreportern fotografiert. Mein Gesicht am nächsten Tag auf der Bild -Zeitung, morgens beim Bäcker. Ich, wie ich ein Banner mit der Aufschrift ›Widerstand‹ trage, gerade ich, der immer den Weg des geringsten Widerstands geht, der so brav wie ein Lesebuch ist.
»Ja«, sagte ich, obwohl ich keine Meinung zu der Sache habe. Ich kann sie alle verstehen, das ist schon immer meine Schwäche gewesen. Ich dachte an die Leute, die bei Airbus ihren Job haben und keine Lust, ihn wegen ein paar Spinnern zu verlieren. Ich dachte an die Obstbauern, die ihr Land verkaufen sollen, das seit Generationen im Besitz ihrer Familien ist. Ich dachte an die von der Presse, die jetzt im Dorf herumhängen und die ganze Sache großartig finden, es hat ja nichts mit ihren Leben zu tun. Und ich dachte an die, die nicht wollten, dass in ihrem Vorgarten eine Landebahn endet, dass Transportflugzeuge wie schneeweiße Belugawale knapp über ihre Schornsteine schrammen.
Warum ist bei Petra alles so klar? Sie studiert Umweltrecht an der Uni in Lund, Südschweden, um sich später als Anwältin bei Greenpeace oder Attac zu engagieren. Vorher ist sie ein Jahr für das deutsche Missionswerk in Indien gewesen, nicht nur ihrem Vater zuliebe. Sie engagiert sich gegen den Ausbau der Landebahn, organisiert Demos und Versammlungen. Vor gar nicht allzu langer Zeit hat sie noch Artikel über Senatspolitik, Brechmitteleinsatz usw. für die Schülerzeitung geschrieben. Für mich ein völlig fremder Kontinent, dieses Engagement. Sie scheint in dem, was sie tut, völlig aufzugehen. Bei mir bleibt immer ein Rest. Ich bin die meiste Zeit mit der Frage beschäftigt, wie man überhaupt die Wüste durchqueren soll, die die anderen Leute Leben nennen. Sie steht auf dem Deich mit der Flüstertüte, verteilt Flugblätter, bekommt rote Bäckchen vom frischen Wind und kommt sich dabei überhaupt nicht lächerlich vor. Und ich muss bei solchen Aktionen immer denken: Asterix gegen die Römer.
»Ho-Ho-Ho-Tschi-Minh«, sagte ich, ein kleiner Versuch, witzig zu sein.
Petra war dabei, mit der Schere Löcher in das Tuch zu schneiden, damit der Wind hindurchwehen konnte und uns nicht hinaus auf den Fluss blasen würde. Sie hielt inne und richtete die Schere auf mich.
»Du brauchst es ja nicht ernst zu nehmen. Das gelingt dir sowieso nicht, du wirst niemals etwas finden, das dir etwas bedeutet.«
»Du bist aber empfindlich«, sagte ich. Ich versuchte, überlegen zu lächeln, herausfordernd, aber es klappte nicht, es sah bescheuert aus, das spürte ich.
»Ja, aber du kannst mal versuchen, die Klappe zu halten und keinen Senf abzusondern, wenn du etwas nicht verstehst. Du kannst etwas Respekt haben.«
Auch sie lächelte, aber es war klar, dass sie sauer war und recht hatte.
»Ist ja gut«, sagte ich und blickte die kirchlichen Kirschbäume an, die voller Früchte hingen. Ich spielte bloß schon wieder, Kindergartenfasching, diesmal würde ich als Demonstrant gehen.
»Was ist mit Sex?«, fragt Petra. Die Schallplatten sind ihr langweilig geworden. Ich habe uns Kakao gemacht, wir hören eine Platte von Soft Machine
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