Delfinarium: Roman (German Edition)
, die ich mir ausnahmsweise selbst gekauft habe.
»Lass uns miteinander schlafen«, sagt sie und sieht mich direkt an, zu direkt. Das Thema ist ihr eindeutig zu wichtig. Wir hatten schon nach der Aktion mit den Holzlatten Sex, sportlich, leidenschaftslos. Jeden Tag muss ich das auch nicht haben, Sex ohne Liebe.
»Nicht heute«, sage ich. »Du bist sexbesessen.«
Das erste Mal haben Petra und ich im Frühsommer vor dem Abitur miteinander geschlafen. Es scheint mir eine Ewigkeit her. Damals war es abends schon länger warm, die Kirschbäume standen in voller Blüte. Es hatte von Anfang an nichts mit Liebe zu tun, zumindest nicht von meiner Seite aus, von ihrer auch nicht, da bin ich mir eigentlich sicher, und sonst macht es auch keinen Sinn. Es ist ein Trainingslager, eine rein körperliche Geschichte. Es geht bloß um Sex, ums Erfahrungen sammeln. Es war mein erstes Mal, nicht nur bezogen auf Petra, ich bin die ewige männliche Jungfrau gewesen.
Damals hatte sie mich abgeholt, eine Flasche Wein im Gepäck. Sie wollte mir einen ihrer Lieblingsorte zeigen. Wir spazierten auf dem Deich in die Abenddämmerung. Sie führte mich zu einem Platz hinter dem Deich, wo man auf einen Steg am stillgelegten Teil des Flusses gelangt, einer Art Blinddarm des Flusses. Die Äste eines Pflaumenbaumes bogen sich über den Steg, berührten das Wasser, Mücken tanzten über der Oberfläche, die perfekte Idylle. Wir sprachen über dies und das, und nach und nach schnürte sich mir die Kehle zu.
Ich spürte, dass etwas auf mich zukam.
»Man muss sich nicht lieben, um miteinander zu schlafen«, sagte sie, als wir beide angetrunken waren. Ihr Gesicht näherte sich meinem.
»Vielleicht ist es sogar besser, wenn man bloß befreundet ist, die Erwartungen sind dann geringer.«
Ihre Argumente leuchteten mir ein, zumindest mit einer halben Flasche Wein im Kopf. Ich nahm ihr die Brille ab. Sie zog ein Kondom aus der Tasche. Sie trug einen sehr umfangreichen BH, stellte ich fest, der mich an Industrialisierung erinnerte. Ich wusste nicht, ob es für sie ebenso das erste Mal sein würde wie für mich, ich achtete nicht auf Blut und so was, aber später erzählte sie mir, dass sie schon mit ihrem Hockeylehrer geschlafen hatte.
Anschließend gingen wir Hand in Hand den Deich entlang und ich schwebte, nicht nur wegen des Weins.
Ich sehe ihren Rücken an, die im Nacken ausrasierten Haare.
Ich muss wieder an diese Hippie-Sache denken. Vielleicht bin ich wirklich ein Hippie, ich habe es bloß nicht mitgekriegt. Vielleicht hat es gar nichts mit dem Aussehen zu tun, mit den Klamotten, die man trägt, sondern mit Einstellungen, mit Werten, aber auch mit Schallplatten. Ich trage Schuhe an den Füßen und eine Jacke, wenn es kalt ist. Da hört mein Geschmacksverständnis auf.
»Ja, ich bin ein Hippie«, sage ich und mir fällt auf, dass es irgendwie aus dem Zusammenhang gerissen klingt. Petra runzelt die Stirn.
»Komm«, sage ich und springe auf. »Ich muss das Abendessen machen. Willst du mitessen?« Petra nickt und wir gehen hinunter in die Küche.
»Ich habe wieder einen Job,« sage ich auf der Treppe.
»Echt?«, fragt sie, »was ist es?«
3. Sieben Minuten
Im oberen Stockwerk gibt es drei Zimmer, zwei Türen stehen offen, eine ist geschlossen. Ein Zimmer ist sehr klein, ich schaue in Manuels, in das Kinderzimmer, ein Gitterbett steht unter dem Fenster, von dem orangefarbene Gardinen mit Clowns herabhängen. Wo ist der eigentlich, frage ich mich, noch so eine Frage. Im anderen Zimmer steht ein Ehebett, auf dem eine aufgeschlagene Computerzeitschrift liegt, das Zimmer geht zur Straße hinaus, in der Ferne kann ich einen Zeppelin mit der Aufschrift Miele durch den Himmel fahren sehen. Von unten höre ich das Knacken des Verschlusses, als Henry sich in der Küche eine Dose Bier aufmacht. Er hat gesagt, ich solle hochgehen und mir Susanns Zimmer anschauen, so würde ich einen noch besseren Eindruck bekommen. Ich klopfe vorsichtig an die geschlossene Tür, klopfe erneut, als keine Reaktion kommt, und trete vorsichtig ein. Susann sitzt mit dem Rücken zur Tür an einem Frisiertisch, betrachtet sich im Spiegel und kämmt ihr Haar. Sie trägt dieselbe Kleidung wie am Tag zuvor, oder vielleicht hat sie viele weiße Blusen und blaue Röcke. Das Jäckchen ist um die Stuhllehne gelegt. Ich schaue ihren Rücken an, die knochigen Schultern, die spitz aus dem Haar hervorstechen. Sie kämmt und lässt sich durch mich nicht stören. Ich stehe in der Tür und
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