Delhi Love Story
mir einfach nur gerne zu?
Ich habe so viel geredet. Eine scheinbare Ewigkeit lang. Er wollte einfach alles wissen. »Erzähl mir mehr«, sagte er, wann immer ich eine Pause machte. Nach einer Weile bemerkte ich verwundert, dass es dunkel geworden war, beinahe sieben Uhr. »Musst du nicht zurück?«, fragte ich.
»Ja, aber das hier macht mir mehr Spaß.«
Er war sehr an meinem Leben in Minnesota interessiert, an Jesse und Jaime, an Ma. Als ich ihm von Papa erzählte, streichelte er mir sanft den Kopf. »Du vermisst
ihn sehr, oder?« Er umarmte mich, zog mich zu sich heran. Ich wollte für immer in seinen Armen bleiben und seinen Herzschlag hören.
Ich schrecke auf, als es um kurz nach acht laut an der Tür klingelt. Kunal?, denke ich irrationalerweise, obwohl er mich vor kaum einer halben Stunde hier abgesetzt hat. Doch als ich die Tür öffne, erblicke ich Keds. Er trägt seinen Rucksack über der Schulter, das Hemd hängt ihm aus der Hose.
»Überraschung!«, ruft er.
Ich rolle mit den Augen und lasse ihn hinein. »Was ist los?«
»Thermodynamik.«
»Thermodynamik? Ich dachte, du wärst schon mit der Wiederholung des Stoffs fertig?«
»Ja, aber es kann nicht schaden, sich alles noch einmal anzusehen.«
»Du Lügner. Du bist hier, weil du mir helfen willst, stimmt’s?«
Er grinst. »Wir müssen doch sicherstellen, dass du nicht wirklich Abschiedsbriefe schreiben musst.«
Ich seufze. »Dann müsstest du die ganze Woche hierbleiben. «
Er hat doch ein großes Herz, denke ich, als er sich mit mir über die Bücher beugt. Er könnte lesen, einen Film anschauen oder Zeit mit Nikki verbringen. Oder auch nicht, überlege ich. Er hat Nikkis Party vom Vorabend noch mit keinem Wort erwähnt. Er hat auch nicht erzählt, was in Nikkis Zimmer geschehen ist – jedenfalls verließen
wir die Party früher als geplant. Ich habe das Gefühl, dass etwas zwischen den beiden vorgefallen ist. Ich hatte eben erst das Buffet entdeckt, da kam er schon mit grimmigem Gesicht zurück und sagte, er wolle nach Hause, und zwar sofort. Der Heimweg war kein besonderes Vergnügen gewesen, er saß die ganze Zeit schweigend neben mir und starrte aus dem Fenster. Er wirkte, als müsse er dringend allein sein, und ich wagte nicht, nachzufragen.
Aber er grübelt noch immer, das merke ich. Er bemerkt kaum, dass ich das Zimmer verlasse, um uns belegte Brote zu machen. Als ich zurückkomme, starrt er auf den Baum vor dem Fenster.
»Ein faszinierender Baum«, sage ich. »Er blüht nie.«
Er schenkt mir einen düsteren Blick, bemüht sich nicht um ein Lächeln.
»Das gehört dir«, sagt er.
Er streckt mir ein dünnes goldenes Armband entgegen. Ich sehe ihn fragend an.
»Ich habe Nikki gesagt, dass es dir gehört.«
»Warum denn das?«
»Weil es dir gehört.« Er nimmt meine Hand, legt das Armband hinein.
»Und was hat sie gesagt?«
»Nichts. Wir haben Schluss gemacht.«
»Oh nein!« Ich umarme ihn. »Geht es dir gut?«
»Klar.« Er zuckt die Schultern, versucht zu lächeln –es misslingt.
»Oh Keds, das tut mir so leid.«
»Das muss es nicht. Mir tut es nicht leid. Ich bin nur erstaunt … ich war so ein Idiot, stimmt’s?«
»Schon dein ganzes Leben lang«, tröste ich ihn. »Aber das nehme ich dir nicht übel.« Ich umarme ihn fest, er umarmt mich auch, er ist stark wie ein Bär. »Sieh es positiv«, sage ich. »Alle Mädchen in der 11 E werden jetzt sehr glücklich sein.«
»Ach ja?«
»Sie werden sich darüber streiten, wer das Vorrecht auf dich hat.«
Er sagt grinsend, ich sei auch ein Idiot.
»Aber ein netter, oder?«
Er schnipst mir eine Haarsträhne aus dem Gesicht und befiehlt, wir müssten uns wieder der Physik zuwenden.
Nach einer Marathonsitzung, in der wir nicht weniger als zwölf Rechnungen durchgearbeitet haben, werfen wir uns zur Entspannung einen Ball zu. Keds verfehlt, der Ball springt an mein Bücherregal; er steht auf, um ihn zu holen.
»Hey, was ist das?«, fragt er und nimmt ein Buch in die Hand.
»Nichts. Gib her.«
Er weicht mir aus, schlägt das Buch auf und liest die Widmung auf der ersten Seite. Ich spüre, wie meine Ohren rot werden. Er sieht mich an. »Kunal?«, fragt er. »Kunal Pradhan …?«
Ich zucke die Schultern. »Wir sind ins Gespräch gekommen. Du weißt ja, wie es ist …«
Er klappt das Buch zu und stellt es wieder ins Regal. »Nein«, sagt er und sieht mich an. »Wie ist es denn?«
»Also … wir sind ein Paar.«
Er reißt die Augen auf. »Seit wann?«
»Äh – ich weiß
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