Delhi Love Story
Seine Stimme kommt näher. »Hör zu, Beta –«
Klammerte sich Rani nicht so fest an mich, würde ich
hinausstürmen und ihn sofort umbringen. Aber sie hält mein Handgelenk fest und braucht mich jetzt. So kräftig ich kann, trete ich gegen die Tür. »Verschwinde, du ekelhafter, dreckiger … Bastard «, brülle ich.
Seine Schritte halten inne. Kalt dringt seine Stimme zu uns herüber: »Ich werde mal so tun, als hätte sie das nicht gesagt, Isha.«
»Du solltest jetzt gehen, Rajiv«, sagt Ma. Ihre Stimme ist mindestens genauso kalt.
»Weißt du, Isha«, sagt er fast beiläufig, »ich würde nicht jede Geschichte glauben. Ani ist doch fast noch ein Kind. Offensichtlich hatte sie keinen guten Umgang.«
»Was erlaubst du dir!« Ich winde mich aus Ranis Griff und reiße die Tür auf. Ich sehe noch Rajivs Rücken, er knallt die Wohnungstür hinter sich zu. »Wer ist hier wohl der Lügner!«
»Lass es, Ann.«
»Ma, er ist doch derjenige –«
»Ich weiß, mein Schatz.«
»Wie kann er behaupten …«
»Ihm fällt nichts anderes mehr ein.«
Hinter mir kommt Rani ins Wohnzimmer. Ihr immer noch entsetzter Blick ist auf die Wohnungstür geheftet.
»Mach dir keine Sorgen, Rani«, sagt Ma. »Er wird uns von nun an in Ruhe lassen.« Sie nimmt die Autoschlüssel, greift nach ihrer Handtasche. »Kommt, Mädels, lasst uns gehen.«
»Gehen?«
»Ich weiß nicht, wie ihr dazu steht«, sagt sie, »aber ich möchte jetzt Ravan brennen sehen.«
Ich überlasse Rani den Vordersitz. Sie braucht jetzt Mas Nähe. Schließlich hat sie einen schweren Schock erlitten. Die Vorstellung, dass dieser Mann, der Ehemann ihrer Cousine … Unter den Bewohnern ist er sehr beliebt, er gehört der Mietervereinigung von Roshini an. Und wie oft hat Chandra gesagt: »Ach, Rupa hat wirklich Glück! Rajiv ist so bescheiden und unkompliziert! «
Das ist einfach krank.
Ma schaltet das Radio ein; der Moderator macht seine üblichen Scherze. Mit halbem Ohr höre ich zu, wie er betont heiter über das Wetter, die Wirtschaftslage, die neue Pepsi-Werbung und die neuesten Hindi-Filme plaudert. Ich starre auf Ranis Hinterkopf und bemerke, dass die Haare völlig zerwühlt sind, als seien sie tagelang nicht gebürstet worden. Wieder steigt die Wut in mir hoch. Wie konnte er nur?
»Hrithik singt das wirklich gut«, sagt Ma und dreht das Radio lauter. Die Klänge von Dhoom again erfüllen das Auto. »Ich liebe dieses Lied! Und die Choreografie! Ich wüsste gerne, wer der Choreograf ist …«
»Ich glaube, das war Shiamak Daver, Tante Isha.«
Einen Augenblick lang bin ich mir nicht sicher, ob Rani das tatsächlich gesagt hat. Wenn man glaubt, sie habe ihre eigene Stimme aufgegeben, wenn man glaubt, sie würde nie wieder lachen – gerade dann unterhält sie sich mit Ma über den Choreografen eines Filmsongs?
»Ich würde so gerne wieder tanzen«, seufzt Ma. »Du musst es mir beibringen.«
»Jederzeit gerne, Tante Isha.«
Sprachlos blicke ich die beiden an. »Du tanzt?«, frage ich Rani.
Sie dreht sich zu mir um, versucht ein Lächeln.
»Rani ist eine gute Tänzerin«, sagt Ma. »Wusstest du das nicht?«
»Nein, das hat sie mir nie erzählt! Rani???«
Sie zuckt die Schultern. »Du hast nicht danach gefragt, Ani.«
Um kurz nach zehn explodiert Ravan mit einem lauten Knall, der allen durch und durch geht. Ich sehe zu, wie Ravans Brust aufbricht, wie seine vielen Köpfe zu schwarzer Asche zerfallen. Die Feuerwerkskörper fliegen, die Figur Ravans steht nun ganz in Flammen. Ein paar Minuten später fällt sie zu Boden. Die Menge atmet auf. Wieder einmal, so scheint es, ist das Böse und Falsche überwunden. Aus der Asche wird eine frische, reine neue Welt erstehen. Natürlich ist das ein Mythos, aber ein sehr mächtiger, er umgibt uns alle. Es fühlt sich an, als sei eine Last von den Zuschauern genommen und das Leben sei nun leichter.
Dichter Qualm liegt in der Luft. Ich stehe auf, klopfe mir den Staub von der Hose. Der Rauch brennt in Augen und Hals; auf meinen Haaren liegt eine feine Schicht Asche. Es ist mir egal. Ich habe das Gefühl, von etwas Schlechtem gereinigt worden zu sein, und zwar nicht nur symbolisch.
Als wir nach Hause kommen, sitzt Rupa auf der Gemeinschaftsterrasse. Sie wirkt, als warte sie schon eine
Weile in der kühlen Nacht. Sobald sie uns sieht, läuft sie auf uns zu; in ihrem Schal hat sich Herbstlaub verfangen. »Isha!«, sagt sie mit ungewöhnlich schriller Stimme. »Wo warst du! Ich habe dich auf dem Handy angerufen,
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