Delhi Love Story
mit dem Belan darüber. Aber der Teig bleibt daran kleben wie Kaugummi an einem Schuh. Sie kratzt ihn ab und überlässt Rani die Teigfetzen. »Irgendwann
werde ich dich schon kleinkriegen«, droht sie der klebrigen Masse.
»Ani, willst du es mal versuchen?«
Skeptisch betrachte ich das unschuldige kleine Bällchen, das Rani mir hinhält. Es sieht weich und gefügig aus, aber ich weiß: Sobald ich es berühre, wecke ich den Dämon darin, und der wird sich mit allen Mitteln wehren. »Nein danke.«
»Komm, es ist ganz leicht.«
»Bestimmt.«
Ich ignoriere ihre ausgestreckte Hand und kratze weiter Teigreste von meinen Händen.
»Soll ich es dir ein andermal beibringen?«
»Nein.«
Ma, die mit einem weiteren Teigbällchen herumgespielt hatte, sieht mich erstaunt an. »Aber Ann, ich dachte, du wolltest das lernen?«
»Ich muss Hausaufgaben machen.«
»Aber die Chapattis –«
»Sind bestimmt faszinierend.«
Ich ziehe die Schürze aus, werfe sie auf die Arbeitsfläche und gehe hinaus.
Ob Ma mir in mein Zimmer folgen wird? Ob sie mich mit meinem plötzlichen Abgang konfrontieren wird? Fast hoffe ich, sie täte es. Dann nähme sie mich wenigstens wahr. Für einen Moment hätte ich ihre uneingeschränkte Aufmerksamkeit. Sie könnte mir sagen, dass ich mich eben nicht gut benommen habe. Und ich könnte ihr von Kunal erzählen.
Das habe ich nämlich noch nicht getan. Zehn Tage ist
dieser erste Kuss jetzt her. Was anfangs noch eine große Überraschung war, die auf den richtigen Augenblick wartete, ist mittlerweile zu einem drückenden Geheimnis geworden, das immer wieder in Ranis warnenden Augen aufleuchtet. Jedes Mal wenn mein Handy klingelt und ich damit in mein Zimmer gehe, spüre ich, wie sich Ranis Blick in meinen Rücken brennt. Als täte ich etwas Falsches, Hinterhältiges, als hätte ich etwas Peinliches zu verbergen.
Aber das habe ich natürlich nicht. Ich warte nur auf den richtigen Moment. Ich habe einen Freund, Ma . Das kann ich nicht einfach beim Abendessen sagen, wo wir zu dritt sind, oder beim Frühstück, wo wir auch zu dritt sind. Nicht einmal bei den nächtlichen Zusammenkünften mit Äpfeln und Käse, weil Rani auch hier immer dabei ist. Ich möchte, dass Ma sich Zeit für mich nimmt, für mich allein . Ich möchte, dass sie mir Fragen stellt, so wie sie Rani jeden Tag beim Abendessen befragt. Ich möchte, dass sie mit mir spricht wie mit Rani, mit der sie in schnellem Hindi über Fernsehsendungen, Werbung und alles Mögliche redet. Ich möchte, dass sie sich mir zuwendet und mich fragt. Wie mein Tag war, was mit mir los ist. Sie soll mich wahrnehmen. Eigentlich sollte sie merken, dass etwas nicht stimmt. Papa hat so etwas immer gemerkt. Wenn ich aus der Schule kam, wusste er gleich, ob unsere Mannschaft gewonnen, ich einen Erfolg erzielt oder mit jemandem gestritten hatte.
»Dein Gesicht ist wie eine Glühbirne«, sagte er immer, »mit eingebautem Dimmer.« Als ich in die Schwimmmannschaft der Schule aufgenommen wurde, hielt er
sich schützend die Hand vor die Augen und sagte: »Ooh, 1000 Watt!« Und als ich in der Algebra-Klausur versagte: »Oh nein, schon wieder Mathe?«
Ma ist nicht Papa, das weiß ich natürlich. Aber auch sie hat Augen im Kopf.
Ich öffne meine Zimmertür einen Spalt weit, damit Ma weiß, dass sie willkommen ist. Dass sie vorbeikommen kann, obwohl ich Hausaufgaben mache. Dass sie mich nicht stören würde. Dass ich gestört werden will .
Aber es nähern sich keine Schritte. Ab und zu dringen Lachen und fröhliche Gesprächsfetzen aus der Küche. Ich stehe auf und schließe die Tür wieder. Ich sollte mir keine Illusionen machen. Heute wird sie bestimmt nicht vorbeikommen, sie hat viel zu viel Spaß mit Rani. Beim Backen der Chapattis . Beim gemeinsamen Malen mit Ölfarben. Bei den Gesprächen über alte Hindi-Filme. Beim Plänemachen für die nächste gemeinsame Shopping-Tour. Und so weiter …
Ich lehne mich zurück, betrachte das Bild an der Wand. Papa, ich habe mich verliebt , flüstere ich. Er heißt Kunal .
Achtundzwanzig
Die Lehrer lassen sich Zeit mit den Korrekturen. In den Tagen nach den Prüfungen sieht man sie manchmal mit Blätterstapeln unter dem Arm, seltener beim Korrigieren im Lehrerzimmer. Es sieht immer aus wie nebenbei, das Korrigieren der Prüfungen hat augenscheinlich keine besonders
hohe Priorität. Es gibt keinen offiziellen Termin für die Bekanntgabe der Ergebnisse. Ich habe für etwas geackert, was allen egal zu sein scheint.
»Sie
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