Delhi Love Story
meine Fingerspitzen fest. »Es ist okay, Ma«, flüstere ich. »Ich bin da.«
Sie legt die Wange auf meine Hand. Feuchte Wimpern streifen meine Haut. Mit der anderen Hand streiche ich ihr durch die Haare. Es wird heller. Sie schläft wieder ein.
Um halb acht klingelt das Telefon. So schnell und leise wie ich kann, laufe ich ins Wohnzimmer. Aber Rani, die schon frisch geduscht und angezogen ist, hat bereits abgehoben. »Hallo? Nein, hier ist Rani. Einen Moment.« Sie hält den Hörer zu. »Eine gewisse Neera- Tai «, sagt sie.
»Gib mir den Hörer.« Hinter mir ist Ma ins Zimmer gekommen. Ihre Haare sind zerwühlt, die Augenlider leicht geschwollen. Sie nimmt Rani das Telefon ab. »Neera- Bhabi ? Ja, es geht uns gut. Ja, danke. Ich weiß das zu schätzen. Ihr macht ein Havan ? Wie schön.«
»Was um Himmels willen ist ein Havan? «, flüstere ich.
»Das ist eine Gebetszeremonie«, antwortet Rani. »Was ist los, Ani? Wer ist Neera- Tai ?«
»Die Schwägerin meines Vaters.«
»Sie macht ein Havan? «
»Anscheinend«, seufze ich. »Heute jährt sich sein Todestag.«
»Oh.«
Sie legt mir die Hand auf die Schulter. Ich sage ihr, dass es mir gut geht. Ich mache mir eher Sorgen um Ma.
»Nein, Bhabhi «, sagt Ma hörbar angestrengt. »Ich möchte lieber nicht mit Mai sprechen, nicht heute –«
Ich nehme ihr das Telefon aus der Hand.
»Dadi?«
Die zunächst leicht hysterische Stimme wird ruhiger. »Mein Kind. Mein Stern. Mein Stück vom Mond. Ich vermisse dich so sehr.«
»Ich vermisse dich auch, Dadi. «
»Ich würde dich so gerne in den Armen halten! Ach, wieso musstest du wegziehen und diese Hexe heiraten?«
Ich höre, wie ihr das Telefon hastig aus der Hand gerissen wird. Jetzt spricht wieder Neera-Tai. »Entschuldige, Isha. Du weißt ja, manchmal ist sie einfach –«
»Hier ist Ani«, sage ich.
»Ani! Wie geht es dir, beta ? Und wie geht es Isha? Ich hoffe, du kümmerst dich um sie?«
Ich lege auf. Ich habe keine Lust auf ihre Plattitüden, schon gar nicht heute.
Sie sitzen in der Küche unter der Mangodecke. Rani ist zur Pflegerin mutiert und hat das Teeservice für besondere Anlässe hervorgeholt. Ma starrt aus dem Fenster in das blasse Morgenlicht, Rani beobachtet sie besorgt. Sie gießt den Tee in Porzellantassen; der feine Duft von Darjeeling erfüllt den Raum.
»Das hätte ich doch auch machen können«, sage ich und nehme ihr das Tablett ab.
Ma nimmt eine dampfende Tasse, atmet den Duft ein. »Mmmmm, himmlisch. Was hast du hier hineingegeben, Rani?«
»Ganz viel Liebe, Tante Isha.«
Ihr zuckersüßes Lächeln irritiert mich. Mit Mühe lächele ich auch und lobe ihren Tee.
Ma reibt sich die Augen, blickt auf die Wanduhr und richtet sich erschreckt auf. »Oh je, ich werde viel zu spät kommen. Ich muss Aditya anrufen.«
Ich halte sie auf, als sie nach ihrem Handy greift. »Ma, nimm doch heute frei«, schlage ich vor.
»Aber Schatz –«
»Wirklich, Ma. Lass uns beide schwänzen.«
»Und was sollen wir machen?«
»Das Übliche. Wellness, Einkaufen, schlecht essen, ein schlechter Film … du brauchst es dir nur auszusuchen. «
Lächelnd schüttelt sie den Kopf. »Das klingt wunderbar, Ann, aber ich habe einen wichtigen Kundentermin –«
»Wir könnten zum Tempel gehen«, schlägt Rani vor.
Ich drehe mich zu ihr um. »Ich meinte, dass Ma und ich uns frei nehmen, Rani. Du musst wegen uns nicht Schule schwänzen.«
Sie ignoriert mich völlig. »Bitte, Tante Isha«, sagt sie. »Gleich die Straße hinunter ist ein sehr hübsches Mandir . Ich gehe jeden Freitag dorthin und der Pandit-Ji macht eine Puja. Das ist ein gutes Gefühl.«
»Rani, Ma und ich sind keine großen Fans von Pujas .«
»Das machen wir«, sagt Ma.
Ich starre sie an.
»Wirklich, Ann, das machen wir. Wir nehmen alle drei frei und unternehmen etwas Ruhiges, Bedeutungsvolles. Wir gehen zum Mandir . Ich denke, das könnte mir gefallen.«
Ich beobachte Rani. Wahrscheinlich bilde ich mir den triumphierenden Blick aus ihren karamellfarbenen Augen nur ein. »Natürlich, Ma«, sage ich.
Als wir vom Mandir nach Hause kommen, steht eine mit Blumen gefüllte Vase vor unserer Tür. Es sind schöne weiße Lilien, frisch und schlicht. Auf dem beigefügten Kärtchen steht: Meine Gedanken sind bei dir . Unterschrieben ist es mit »JD«.
Ich stopfe die Karte zurück zwischen die Blumen. »Wer hat ihm denn davon erzählt?«
»Ich glaube, ich habe es erwähnt«, sagt Ma.
»Aber ich dachte, er sei den ganzen Monat in
Weitere Kostenlose Bücher